Gedanken für den Tag

Von Andrea Winkler. "Vom Leben zwischen Menschen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Wie sind Menschen miteinander verbunden, und wie äußert sich ihr Wunsch nach Nähe oder Ferne? Rund um den "Valentinstag" stellt sich die junge österreichische Schriftstellerin Andrea Winkler die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von zwischenmenschlichen Beziehungen und ihren Niederschlag in der Literatur.

Andrea Winkler wurde 1972 geboren. Sie lebt als Schriftstellerin in Wien.

Und wenn einer sich scheinbar ganz den menschlichen Beziehungen entzieht? Was dann?
So einer kommt uns aus einem Text von Agota Kristof entgegen. Die ganze Leidenschaft dieses Menschen, der von Beruf Musiker ist, besteht im Wandern durch die Straßen seiner Heimatstadt, an die er sich aus Gründen, über die die Erzählung keine Auskunft gibt, "gefesselt" fühlt. Einmal, während seines Musikstudiums in einer andern Stadt, spielt er seinen Kollegen und seinem Lehrer eine Komposition vor, die ganz von der unbegreiflichen Liebe zu den Straßen seiner Heimatstadt erfüllt ist. Seine Kollegen lachen darüber, der Lehrer zieht ihn beiseite und tröstet ihn über den Spott seiner Studienkollegen mit den Worten: "Gefühle werden zur Zeit in der Kunst nicht sonderlich geschätzt. Eine gleichsam wissenschaftliche Nüchternheit ist jetzt Mode. Aber Romantik... Nun ja, was weiß ich, über alles wird gelacht. Selbst über die Liebe. Dabei ist sie in Ihrem Alter wichtig und ganz normal. Es liegt auf der Hand, dass Sie in eine Frau verliebt sind." Nun muss allerdings wiederum der junge Mann lauthals lachen. Was hätte er sonst tun sollen? Erklären, was wirklich in ihm vorging? Es ist gut möglich, dass ihn niemand verstanden hätte, und auch er sich selbst nicht. Er kehrt also in seine Stadt zurück, nimmt die Wanderungen durch die Straßen wieder auf und ist glücklich dabei. Und was macht das, dass er so von einer ihm selbst fremden Liebe getragen ist und sogar denkt, er würde immer, noch über seinen Tod hinaus, so weiterwandern müssen? Weiß das die Erzählung? - Sie nimmt wie nebenher Anteil an der seltsamen Bindung und Handlung des Mannes und macht sie sich nicht durch eine Erklärung gleich. Nüchtern ist sie, aber ihre Nüchternheit hebt den Schmerz über das Alleinsein desjenigen, dessen Fremdheit sie respektiert, an keiner Stelle auf.

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Titel: GFT 120215 Gedanken für den Tag / Andrea Winkler
Länge: 03:46 min

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