Gedanken für den Tag

Von Superintendentin Luise Müller. "Von Narren und Weisen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

"Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske, und er sagt die Wahrheit", lautet eine Weisheit des englischen Schriftstellers Oscar Wilde einmal gemeint. Masken und Rollen, Narren und Weise, Rio de Janeiro und Venedig, oder einfach einmal aus der Alltagshaut fahren. Nicht nur der Fasching hat viele Gesichter. Die evangelisch-lutherische Superintendentin Luise Müller lüftet so manche Maske.

Der Fasching, die Zeit der Verkleidungen und Masken ist vorbei. Heißt das, dass uns jetzt in dieser Zeit der Reduktion und Zurücknahme der unverkleidete Mensch begegnet, die Person an sich, oder ist das Leben vielleicht eine einzige Maskerade?

Schwarze Schuhe, schwarze Hose, einfarbiges T-Shirt und drüber ein anders einfarbiger Blazer - das ist nicht nur Angela Merkel, das bin auch ich. So bekleidet fühle ich mich wohl, wenn ich in offizieller Mission unterwegs bin. Das macht mich einerseits unauffällig und andererseits auch seriös. In der evangelischen Kirche Österreichs gibt es Empfehlungen, was unter dem Talar zu tragen ist: schwarze Schuhe und schwarze Hosen sind am geeignetsten. Es gibt den Priesterkragen und das Ansteckkreuz. Männliche Bankangestellte haben die Verpflichtung zu Anzug und Krawatte. Da sind die Nonkonformisten mit ihren ungebügelten, ausgeleierten T-Shirts und ihren Schlabberhosen und manche "Vollblutfrauen" mit ihren zeltartigen Überwürfen. Die ballonseidenen Trainingsanzüge, die rosafarbenen Poloshirts mit aufgestelltem Kragen, die Kopftücher, die Kittelschürzen, die Botoxgesichter, die Implantatsbusen. Sofort tauchen Bilder auf vor den inneren Augen, man assoziiert gesellschaftliche Gruppen und merkt, dass Verkleidungen nicht nur in den Fasching gehören.

Am deutlichsten nehme ich solche Kennzeichen an anderen wahr. Ich schaue hin, ich ordne zu und qualifiziere ab, manchmal nachdem ich nur einen ersten Blick auf jemand geworfen habe. Was wundert es da, dass sich Menschen von Äußerlichkeiten das Heil erwarten? Von 5 Kilo weniger das Paradies, von 10 cm mehr Oberweite den Mann fürs Leben, von Haareinwebungen die ewige Jugend. Magazine und Fernsehsendungen suggerieren Erfolg und Lebensfreude, wenn der Friseur gewechselt und neue Schuhe gekauft werden. Wie korrelieren Selbstwertgefühl und Aussehen? Ist man jemand anderer, wenn man den Blazer gegen die Kittelschürze tauscht, den Maßanzug gegen die Ballonseide - oder umgekehrt?

Was macht mich als Person aus? Welchen Platz finde ich im Leben? Ich setze nicht nur mit dem was ich sage und tue sondern auch damit, wie ich aussehe und auftrete ein Signal. Beides verstärkt meine Persönlichkeit. Aber manchmal wollen  Kleider und Äußerlichkeiten auch nur täuschen. Es lohnt daher auf alle Fälle auch der zweite Blick auf einen Menschen.

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Titel: GFT 120223 Gedanken für den Tag / Luise Müller
Länge: 03:49 min

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