Gedanken für den Tag

Von Regina Polak. "Zukunft. Werte. Europa". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Werte sind wichtige Orientierungspunkte für den Einzelnen, für Gesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Aber sie bedürfen der kritischen Reflexion, wenn sie in eine gute Zukunft für Europa führen sollen. Regina Polak ist eine der Autorinnen und zugleich Herausgeberin der Europäischen Wertestudie 2010.

Viele Bischöfe und Theologen diagnostizieren: Europa hat eine Gotteskrise. Die Europäische Wertestudie kann diese Krise besser verstehen helfen. Seit zwei Jahrzehnten geben europaweit konstant knappe zwei Drittel der Befragten an, an Gott zu glauben. Freilich gibt es zwischen den Ländern große Unterschiede: Während in Ostdeutschland nur mehr 19 Prozent an Gott glauben, tun das in Polen und Rumänien 95 Prozent. Auch Österreich gehört mit 72 Prozent zu den hochreligiösen Ländern Europas. Aus soziologischer Perspektive ist der stärkste Einflussfaktor, ob jemand an Gott glaubt, das konfessionelle Selbstverständnis. Das heißt: Orthodoxe glauben signifikant häufiger an Gott als Katholiken, diese wiederum viermal häufiger als Protestanten. Aber wer ist dieser Gott? Die österreichischen Ergebnisse zeigen, dass von jenen, die an Gott glauben, nur eine Minderheit von 10 Prozent von einer tiefen Gotteserfahrung erzählen kann. Für die Mehrheit ist Gott primär Teil einer ethischen Weltanschauung, eine Idee, ein Gedanke. Im Alltagsleben ist von ihm wenig zu bemerken, sagen viele Menschen. Zwei Impulse, was die Ergebnisse für die christlichen Kirchen bedeuten: Erfahrungsarmut ist ein zentraler Grund für das langsame Verschwinden des Gottesglaubens. Glaube, der sich auf Ethik oder Weltanschauung reduziert, verschwindet langsam. Wie lässt sich die Wirklichkeit Gottes im Leben, im Alltag, in der Gesellschaft - kurz: in der Gegenwart - erfahren? Denn aus der Sicht des christlichen Glaubens ist Gott keine Idee, auch kein Prinzip, sondern eine lebendige Wirklichkeit, der man im Alltag begegnen kann: ein DU.

Der Einfluss von Geschichte, Kultur und Konfession auf den Gottesglauben ist ein wichtiger Erklärungsgrund für die Länderunterschiede. Welche Rolle haben die Kirchen in der Geschichte eines Landes gespielt? Wie kann man nach einem Jahrhundert der Katastrophen ungebrochen an Gott glauben?

Die Diagnose "Gotteskrise" ist aus meiner Sicht eine Chance: Im Nachdenken über die Geschichte, im Verlust erstarrter Gottesideen, in der Abkehr von toten Lehren können Menschen vielleicht wieder den lebendigen Gott wahrnehmen lernen.

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Titel: GFT 120303 Gedanken für den Tag / Regina Polak
Länge: 03:49 min

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