Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell. "Frühling - immer wieder gelingt es". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Die Natur und der Mensch, das Leben und die Liebe - im Frühling scheint alles noch einmal ganz neu zu beginnen; sogar in der Politik steht "Frühling" für einen Neubeginn. Und Gedichte vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart sind voll von Frühlingsdüften, erstem Vogelzwitschern und neuen Hoffnungen oder, wie ein Gedicht von Eugen Gomringer beginnt: "Frühling - immer wieder gelingt es".

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

So beginnt der "Osterspaziergang" in Goethes "Faust". Frühling und Ostern sind untrennbar miteinander verbunden - das christliche Osterfest wurzelt ja neben dem Pesachfest auch in einem heidnischen Frühlingsfest.

Denkt man an Ostern und Faust, fällt einem in der Regel zuerst die so oft zitierte Formulierung ein "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Doch dieser skeptischen Absage an die christliche Auferstehungsvorstellung steht die Utopie einer anderen Auferstehung gegenüber - einer Befreiung aus Alltag und Arbeitszwängen:

Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Arbeitsdruck und häusliche Last, Enge der Straße und die Nacht in den Kirchen - auch wenn es heute, anders als zu Goethes Zeiten, keinen Kirchgehzwang mehr gibt, sollte allein schon diese Reihung die religiösen Routiniers aufschrecken. Fausts Osterlicht jedenfalls leuchtet nicht in den Kirchen - es ist die Frühlingssonne, die alle ans Licht bringt. Aber diese Frühlingssonne ist auch nicht als Konkurrenz zur Auferstehung Jesu inszeniert. Die Menschen "feiern die Auferstehung des Herrn", gerade weil sie selber auferstanden sind. Das Licht des Frühlings und die eigene Auferstehung sind ihr Schlüssel zum christlichen Auferstehungsglauben.

In zwei Wochen wird Ostern gefeiert. Wem der Glaube fehlt, wenn er oder sie die Botschaft hört, kann vielleicht auf diese Weise das Osterlicht erleben und sich aus den alltäglichen Dunkelheiten wieder einmal ans Licht bringen lassen.

Service

Buch, Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell, "Frühlingsgedichte", Reclam

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Sendereihe

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Titel: GFT 120324 Gedanken für den Tag / Cornelius Hell
Länge: 03:49 min

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