Gedanken für den Tag

von Anna Wall-Strasser. "mehr.wert - eine Theologie der Arbeit und der Solidarität". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Wenn die Belegschaft für einen Betriebskindergarten kämpft, wenn der Betriebsrat sich gegen das Auslagern des Reinigungspersonals wehrt, wenn eine Kollegin mitgetragen wird, auch wenn sie gerade nicht voll leistungsfähig ist, wenn die Gemeinde gegen die Abschiebung ihrer Nachbar/innen aufsteht, wenn Geld zusammengelegt wird, um Menschen anderswo zu unterstützen, wenn ich beim Einkaufen auf Produktionsbedingungen achte - dann ist Solidarität im Spiel.

Solidarität ist ein Grundprinzip der katholischen Soziallehre und ein Schlüsselbegriff im Ethos und in der Praxis der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung: In einer Gesellschaft, die sich der Vermehrung von Geld verschrieben hat, in der der Leistungsdruck steigt, die immer ungleicher wird, in der die Menschen zunehmend vereinzeln und gegeneinander ausgespielt werden, sei es dringend nötig, die Bedeutung der Solidarität und des solidarischen Handelns in Erinnerung zu bringen und in den Mittelpunkt zu stellen, meint die katholische Theologin und Leiterin der Betriebsseelsorge in Oberösterreich, Anna Wall-Strasser.

In den Tagen um den 1. Mai hat der Begriff "Solidarität" Hochkonjunktur. Mitunter kommt er ja etwas verstaubt daher. Er ist nicht so leicht zu erklären, und schon gar nicht zu leben - in Zeiten der hochgepriesenen Individualität. Da geht es um das jeweils ganz eigene Lebenskonzept, und um das Glück, das jeder und jede eben für sich selber zu schmieden hat.

In der Bibel wird man das Wort Solidarität fürs erste vergeblich suchen. Der Begriff kommt aus der römischen Solidarhaftung - "Einer für alle - alle für Einen" - und wurde zum Kampfbegriff, aber auch zur zentralen Tugend in der Arbeiterbewegung. Die organisierte Solidarität des Sozialstaats ist eine wertvolle Frucht dieses Kampfes. Ihn auszubauen um gegen heutige Armutsrisiken zu schützen ist die aktuelle Herausforderung an unsere Solidarität.

Die Katholische Soziallehre hat Solidarität als eines ihrer Grundprinzipien definiert als "die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, das heißt für das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für alle verantwortlich sind".

In der Bibel gilt als herausragende Regel für ein gutes Leben das Gebot der Nächstenliebe. Der Nächste - das ist jeder und jede. Als Menschen dieser Erde sind wir alle gleich und gleich viel wert. "Liebe" meint damit nicht ein besonderes erotisches Hochgefühl, sondern vielmehr die Haltung und die Praxis, die wir Solidarität nennen. Mit gutem Recht lässt sich also das berühmte "Hohelied" des Paulus im ersten Korintherbrief als ein "Hohelied der Solidarität" übersetzen: "Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber keine Solidarität, wäre ich dröhnendes Erz oder lärmende Pauke..."

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Titel: GFT 120502 Gedanken für den Tag / Anna Wall-Strasser
Länge: 03:49 min

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