Radiokolleg - Turings Gehirn

Schlüsselkonzepte des Informationszeitalters (1). Gestaltung: Armin Medosch

Alan Turing wurde am 23. Juni 1912 in London geboren. Lange Zeit war er nur Mathematikern bekannt. Mit seinem 1937 publizierten wissenschaftlichen Aufsatz "On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem" stellte er sich in eine Reihe mit Mathematikgenies wie Kurt Gödel. Turing vervollständigte die von Gödel erbrachte Beweisführung, dass die Mathematik kein in sich geschlossenes und widerspruchsfreies System sein kann. Dabei beeindruckte nicht nur der Beweis selbst, sondern auch wie er erbracht wurde: durch die Annahme einer Universalmaschine zur Zeichenverarbeitung oder anders gesagt, die Erfindung des theoretischen Konzepts für den Computer.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Turing in Bletchley Park, dem britischen Zentrum für die Entzifferung der Botschaften, die mit der deutschen Kryptografiemaschine, der Enigma produziert worden waren. Die Erfolge des Teams, an denen Turing maßgeblichen Anteil hatte, waren mitentscheidend für den Sieg der Alliierten über Nazideutschland.

Unmittelbar mit Kriegsende wandte sich Turing dem konkreten Problem des Baus eines elektronischen Computers zu. Unter dem Dach des "National Physics Laboratory" kam der Bau des englischen Computers, welcher der Kernwaffenforschung dienen sollte, aber nur langsam voran. Schließlich wich Turing nach Manchester aus, wo tatsächlich der Bau eines Computers erfolgte, allerdings nicht unter Turings Leitung.

Der Geheimnisträger (Bletchley Park durfte lange Zeit nicht öffentlich erwähnt werden) kam in Folge einer Affäre mit einem Strichjungen in Konflikt mit dem Gesetz. Verurteilung und erzwungene Östrogen-Kuren folgten, was die Gesundheit und den Seelenzustand des homosexuellen Mannes und fanatischen Marathonläufers ruinierte. 1954 nahm sich Turing durch den Biss in einen mit Zyankali gespickten Apfel das Leben.

Andrew Hodges Biografie "Turing: Das Enigma" entwirft das faszinierende Bild einer Person, die in einem unvergleichlichen Ausmaß die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Turing erfand nicht nur den Computer zwei Mal, einmal als Konzept, einmal als reale Maschine, sondern beeinflusste auch benachbarte Wissensgebiete wie die Gehirnforschung durch das Konzept der Turing-Maschinen - die Annahme dass Neuronen so etwas wie binäre Schalter seien, deren Logik der des Computers ähnelt. Turing trug zur Verbreitung der kontrovers diskutierten Metapher des "elektronischen Gehirns" bei und entwickelte zukunftsträchtige Konzepte über die biologische Morphogenese.

Spät aber doch bekannte der damalige britische Premierminister Gordon Brown 2009 in einer öffentlichen Entschuldigung, dass dem mathematischen Genie Unrecht widerfahren war. Für eine Rücknahme seiner rechtskräftigen Verurteilung hat es aber bis jetzt nicht gereicht.

Service

Jon Agar. Turing and the Universal Machine?: the Making of the Modern Computer. Totem Books, 2001
Andrew Hodges. Alan Turing: The Enigma. New York: Simon and Schuster, 1983
Paul N. Edwards. The Closed World: Computers and the Politics of Discourse in Cold War America. Boston Mass.: MIT Press. 1996

Sendereihe