Gedanken für den Tag

Von Veronika Zoidl. "Das Surreale und ich". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Das Surreale, das Außer- oder Übernatürliche, hat die 20-jährige Schriftstellerin Veronika Zoidl von Kindheit an fasziniert: seien es Nonsensgedichte, die fantastische Welt der Alice im Wunderland, in der alles möglich scheint, oder das einspruchslose Hinnehmen des Surrealen in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Der Einbruch des Surrealen in den Alltag bricht die Welt des Vertrauten, des Logischen und des Selbstverständlichen auf und verweist auf etwas darüber Hinausgehendes, Unfassbares und Transzendentes.

"Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen."

So lautet der Titel eines Gemäldes von Salvador Dali. Dieser komplizierte Titel passt zu dem Bild, auf dem zwei Tiger, ein Granatapfel, ein Elefant auf Stelzen, ein Goldfisch und eine schlafende Frau ein verwirrendes Ganzes ergeben. Betrachte ich das Bild, geht es mir wie nach dem Erwachen aus einem Traum: Dann, wenn einzelne Momente, Personen, Bewegungen meines Traums verschwimmen, verliert sich auch eine zusammenhängende Handlung. Was mir im Traum eben noch ganz klar und wirklich erscheint, kann im nächsten Moment nur mehr schwer erfasst werden. Es fällt dann schwer, zu einem solchen vagen Traum zurückzukehren, in dem gerade noch Unmögliches erlebt und überlebt wurde. Nirgendwo ist eine Begegnung  mit dem Surrealen, mit dem Außer- oder Übernatürlichen einfacher zu bewältigen als im Traum. Dort begegne ich solchen surrealen Situationen meistens sehr selbstbewusst, ohne Verwirrung und Verwunderung. Es scheint dann selbstverständlich, fliegen zu können, oder ein Auto zu lenken, ohne eigentlich fahren zu können - ein Traum, in dem ich mich immer wieder finde.

Eine Begegnung mit dem Surrealen kann sich im Traum als etwas sehr Angenehmes, Ent-wirrendes herausstellen. Es ist ein Austesten von Situationen, in denen wir uns in wachem Zustand nie befinden werden. Das Surreale wird im Traum zur Knetmasse, die wir als Träumende modellieren. Sehr ähnlich verhält es sich auch mit dem Schreiben, das durch Buchstaben Welten öffnet, die ich nach Belieben neu gestalten kann. Schreiben ist für mich wie ein Tagtraum. Mit offenen Augen gleiten meine Gedanken von Begriff zu Begriff und fordern dabei meinen Verstand heraus. So ein Tagtraum zeigt mir eine neue, ganz andere, überirdische, unmögliche Perspektive, die dann bewusst oder unbewusst Eingang in meine Texte findet. Über dem Spiegel der Wirklichkeit, ob es nun ein Nacht- oder Tagtraum ist, finde ich Ideen, Themen, Motive, Symbole vor, zu denen mir sonst der Zugang fehlt - und vielleicht sind darunter auch eine Biene, zwei Tiger und ein Granatapfel.

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Titel: GFT 120627 Gedanken für den Tag / Veronika Zoidl
Länge: 03:49 min

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