Gedanken für den Tag

Von Veronika Zoidl. "Das Surreale und ich". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Das Surreale, das Außer- oder Übernatürliche, hat die 20-jährige Schriftstellerin Veronika Zoidl von Kindheit an fasziniert: seien es Nonsensgedichte, die fantastische Welt der Alice im Wunderland, in der alles möglich scheint, oder das einspruchslose Hinnehmen des Surrealen in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Der Einbruch des Surrealen in den Alltag bricht die Welt des Vertrauten, des Logischen und des Selbstverständlichen auf und verweist auf etwas darüber Hinausgehendes, Unfassbares und Transzendentes.

Sprechende Tiere, tanzendes Geschirr, verliebte Farbkleckse. Ein Eintauchen in Kinderbücher beschert immer wieder und in jedem Alter eine Begegnung mit dem Surrealen. Auf den Gipfel des Absurden treibt es Alice in ihrem Wunderland. Ein Roman, der mit rasanter Geschwindigkeit und den verrücktesten Dialogen von einer Begegnung zur anderen führt. Dabei fehlt nicht nur oft eine innere Logik, sondern auch jede Moral. Alice ist weder ein außergewöhnlich kluges, hübsches noch besonders liebenswertes Mädchen. Aber Alice ist eine Träumerin, die zwar nicht immer an das phantastische Surreale, das über die wahrnehmbare Realität hinausgeht, glauben will, aber diesem trotzdem begegnet, mit dem Surrealen spielt und dieses herausfordert. All das Unmögliche, dem Alice und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kinderbüchern begegnen, scheint für Kinder nicht besonders unheimlich oder unglaublich zu sein. Was sie dann irgendwann draußen erwartet, muss für Kinder wie eine graue, farblose Kopie vom Wunderland wirken. Es ist eine Welt, in der kein Trank uns kurzfristig groß macht, in der hinter dem Wandschrank keine fantastische Welt beginnt und wir keine magischen Fähigkeiten haben.

Auch meine Leidenschaft für das Surreale im Alltag hat ihren Ursprung in einer Realität, die nur selten genauso spannend wie ein gutes Kinderbuch ist. Wenn ich in ein Wunderland voller surrealer Begegnungen reisen will, ist mein Schlüssel die Fantasie; den Weg dorthin pflastern Worte, ob sie nun geschrieben oder gedacht sind. Die Wahrheit ist, dass die magische Welt nicht hinter dem Wandschrank lauert - sie lauert in diesem Schrank. Nämlich dann, wenn dort jene Bücher stehen, die einem auch als Kind eine Begegnung mit dem Surrealen ermöglicht haben. Dort warten Sätze, Geschichten und Gedichte darauf, gelesen und für einen kurzen Moment gelebt zu werden. Peter Pan meint, dass Feen nur leben, solange Kinder an sie glauben - ich glaube, das Surreale existiert unabhängig vom Glauben daran. Wenn wir dies allerdings tun, sind wir besser vorbereitet, wenn es uns begegnet.

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Titel: GFT 120629 Gedanken für den Tag / Veronika Zoidl
Länge: 03:49 min

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