Im Gespräch

25 Jahre "Im Gespräch":
"Der 'Aggressionstrieb' hat real nie existiert." Michael Kerbler spricht mit Joachim Bauer, Neurowissenschafter und Psychotherapeut (Erstausstrahlung: 30. Juni 2011)

Der "Aggressionstrieb" als solcher hat, davon ist Prof. Dr. Joachim Bauer überzeugt, nie real existiert. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Aggression inexistent ist. Im Gegenteil. Der Aggression kommen nützliche Funktionen zu, argumentiert Bauer und plädiert dafür, sich deshalb die Architektur der Gewalt genauer anzusehen und sich gleichzeitig von der mythologisierenden Sichtweise der Gewalt zu verabschieden.

Die Aggression ist ein biologisch fundiertes "Programm", das allerdings spezifische Auslöser braucht, um es zu starten. Bauer analysiert diese Auslöser und räumt mit dem Vorurteil auf, dass es tief in unserer Biologie verborgene "Mächte des Bösen" gibt, die für Amokläufe an Schulen, Überfälle in der S-Bahn oder für ethnische Konflikte verantwortlich gemacht werden können. Unterschätzte Auslöser für Gewalt sind, so hat der Neurobiologe festgestellt, Ausgrenzung und Demütigung. Unser Gehirn bewertet solche Handlungen wie körperlichen Schmerz, der uns zugefügt wird und reagiert. Und zwar mit Aggression.

Diese Erkenntnis hat durchaus politische Dimensionen, denn auch Phänomene wie Armut angesichts von Reichtum bedeuten Ausgrenzung. Bauers Schlussfolgerung - kurz gefasst - lautet: "Angesichts begrenzter globaler Ressourcen stehen wir vor einer weltweiten Zuspitzung des Gewaltproblems."

Das Gespräch mit Prof. Joachim Bauer wurde anlässlich der 30. "Goldegger Dialoge" im Juni 2011 im Salzburger Schloss Goldegg aufgezeichnet.

Service

Joachim Bauer, "Schmerzgrenze - vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt", Karl Blessing Verlag, München

Joachim Bauer, "Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren", Analyse der menschlichen Psyche, Heyne Taschenbuch

"Wofür und wovon wir leben", dieser Tagungsband der 30. Goldegger Dialoge, in dem allen Vorträge enthalten sind, kann direkt beim Kulturverein Goldegg -Schloss Goldegg bezogen werden.

Gerald Hüther, "Was wir sind und was wir sein könnten - ein neurobiologischer Muntermacher", S. Fischer Verlag, Frankfurt

Detlef B. Linke, "Das Gehirn", Taschenbuch der Reihe "Wissen", C. H. Beck - Verlag, München

Georg Northoff, "Die Fahndung nach dem Ich - eine neurophilosophische Kriminalgeschichte", Verlag Irisana bei Random House, München

Benjamin Libet, "Mind Time - Wie das Gehirn Bewusstsein produziert", aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder, Suhrkamp (ISBN 3-518-58427-8)

Olaf Breidbach, "Die Materialisierung des Ichs - zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert", Suhrkamp Taschenbuch, Reihe "Wissenschaft"

Detlev B. Linke, "Die Freiheit und das Gehirn - eine neurophilosphische Ethik", C.H. Beck, München (ISBN 3406528740)

Peter F. Weber, "Der domestizierte Affe: Die Evolution des menschlichen Gehirns", Patmos Verlag, Düsseldorf (ISBN: 3530421898)

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