Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Religion ist Privatsache

Religion ist Privatsache. Klingt plausibel - ist nur leider grundfalsch. Natürlich ist das, was ich glaube, zunächst einmal meine persönliche Entscheidung, Ergebnis meiner eigenen Erfahrungen und Reflexionen. Aber: Warum soll ich für mich behalten müssen, was mir existenziell wichtig ist? "Religion ist Privatsache" riecht für mich nach Zensur: Glaub, was du willst - nur lass es niemanden merken. Und: Sag es schon gar nicht irgendjemandem. Öffentlich vertretene Überzeugung als peinliche Zumutung für den Mitmenschen - so klingt das für mich.

Österreichische Protestanten haben mit der Verdrängung des Religiösen ins Private so ihre Erfahrungen - historisch gesehen. Mit dem Toleranzpatent von 1781 war es erstmals möglich geworden, ungestraft evangelischen Glauben zu leben. Allerdings nur als "Privat-Exerzitium", wie die Habsburger-Bürokratie es so schön genannt hat. Die Öffentlichkeit sollte davon nichts mitbekommen. Als ob es eine Zumutung wäre, anderen beim Praktizieren ihres anderen Glaubens zuschauen zu müssen. Anders als andere sein - und das auch noch öffentlich - wie peinlich.

Gerade zurück von einem Besuch der Presbyterianischen Kirche in Ghana kommt mir der Ruf nach Verdrängung des Religiösen ins Private besonders absurd vor. In Ghana, wie in vielen anderen afrikanischen Ländern, ist das Reden über den eigenen Glauben kein Tabu. Im Gegenteil - es geht dort nach dem Motto: Wer wissen will, wer ich bin, soll auch wissen, was ich glaube. Dabei sind beide völlig entspannt - sowohl der, der seinen Glauben öffentlich bekennt, wie auch der, der sich das Bekenntnis eines Mitmenschen zu Gemüte führen muss. Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass Glaube ein Teil der Persönlichkeit ist. Warum also irgendetwas verstecken? Und: Wie bei jedem Kennenlernen eines anderen Menschen, muss ich ja nicht gut finden, was der andere so meint und wie er so ist. Und so finden sich auf den Tro-Tros, den Sammeltaxis auf den Straßen von Ghana nicht nur Aufschriften wie: Jesus is Lord, Jesus ist Herr, sondern auch: Allahu Akbar - Allah ist groß. Friedlich nebeneinander.

Zugegeben: Die Rahmenbedingungen in einem Land wie Ghana sind andere. Einer kürzlich veröffentlichten Studie nach bezeichnen sich nur 42 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher als "religiös." In Ghana sind, es, glaubt man derselben Umfrage, 96 Prozent, und damit sogar deutlich mehr als in den als notorisch religiös verschrieenen USA. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Was für mich sympathisch in Ghana war, ist, dass ich in einer Atmosphäre dieser Art einen wichtigen Aspekt meines Ichs nicht ausblenden muss, nämlich den religiösen. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass ich die Glaubensansichten meiner ghanaischen Gesprächspartner geteilt habe. Beileibe nicht. Aber: Wir konnten reden über die Unterschiede, auch öffentlich.

Angesichts der statistischen Zahlen über religiöse Menschen in Österreich habe ich einen Verdacht, den Slogan "Religion ist Privatsache" betreffend: Religiös zu sein ist nicht mehr mehrheitsfähig - das soll so sein. Aber nur weil Religion nicht mehr dem Mainstream entspricht, muss sie sich dann ausschließlich aufs Private zurückziehen?

Ich sehe hier einen Zusammenhang mit einer anderen Entwicklung. Schon länger konstatieren Politikexperten, dass Spitzenpolitiker zunehmend austauschbar sind. Dass ihnen Profil fehlt, gar nicht mehr erkennbar ist, wofür eine bestimmte Person steht, für welche Weltanschauung, welche politische Grundhaltung. Höhepunkt dieser Entwicklung sind für mich die gerade erfolgten Wechsel einiger österreichischer Parlamentarier zu einer neu gegründeten Partei.

Ich frage mich schon: Geht das eigentlich - "ideologiefrei" Politik betreiben, also ohne eine bestimmte Grundhaltung zu vertreten? Eine Weltanschauung, eine Überzeugung zu haben, heißt doch: Ich gehe von einem bestimmten Menschen- und Weltbild aus. Ich habe einen Traum, eine Vision, wie ein gutes Leben und wie eine gerechte Welt aussehen soll. Von diesem Traum, von dieser Vision lasse ich mein Entscheiden und Handeln leiten. Natürlich kann ich dabei dazulernen und muss gelegentliche Perspektivenwechsel zulassen. Aber so ganz ohne klare Grundhaltung sich zu engagieren, ja vielleicht sogar Politik zu betreiben - ist das überhaupt möglich?

Wo der Rückzug des Religiösen ins Private gefordert wird diagnostiziere ich Angst vor Menschen mit Ecken und Kanten. Vor Menschen, die eine Überzeugung haben und sie auch vertreten. Die dadurch lästig sein können und unbequem.

Christinnen und Christen, wie alle Menschen, die eine Überzeugung vertreten, können sich in ihrem Reden und Handeln nicht auf das Private beschränken. Wer eine Überzeugung hat, bezieht Stellung. Gerade da, wo etwas in die falsche Richtung laufen könnte.

Es muss ja keiner glauben, was ich glaube. Aber reden wird man ja wohl noch darüber dürfen.

Sendereihe