Zwischenruf

von Christoph Weist (Wien)

Das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika hat seine Wahlentscheidung getroffen. Auf den wieder gewählten Präsidenten blickt die ganze Welt. Sie kann nur hoffen, dass er sein Amt und seine Verantwortung so ausübt, dass es für das Wohl, d.h. für Frieden und Gerechtigkeit bei allen Völkern der Erde, Auswirkungen hat. Denn die Frage ist nun: Wie geht es weiter?

Eine Wahl ist "ein politischer Entscheidungsprozess, bei dem Personen ausgewählt werden", erklärt trocken das Internet-Lexikon Wikipedia. Nicht ist die Rede von den Folgen einer Wahl. Welche Wege schlagen die ausgewählten Personen ein? Was treibt sie in ihren Entscheidungen und ihrem Handeln an, welche Ziele haben sie?

Die Evangelische Kirche ist stolz darauf, dass auch bei ihr Wahlen eine große Rolle spielen. Angefangen bei den Gemeinden bis hin zum Bischof oder der Bischöfin gibt es genau geregelte Wahlvorgänge. Und sie überlässt den jeweils gewählten Personen große Verantwortungsbereiche, von denen oft genug das Geschick der ganzen Kirche abhängt.

Spätestens hier wird jedoch klar: Wahlen, sorgfältig und gewissenhaft durchgeführte Wahlen können nicht alles sein, weder in der Kirche noch in der Politik. Auch wenn sie noch so demokratisch gewählt sind, machen Menschen Fehler - auf Grund eigener Überzeugungen oder auf Grund von fremden Zwängen, denen sie unterliegen, jedenfalls auf Grund menschlicher Unzulänglichkeit und jenseits aller Ankündigungen vor der Wahl. Das können auch politische oder organisatorische Kontrollmechanismen nicht verhindern. Und das ist es, was Menschen fürchten, bei einem amerikanischen Präsidenten wie bei einem Kirchenmann oder einer Kirchenfrau.

Wahlen können nicht alles sein. Das zeigt schon das Neue Testament, in dem ebenfalls gewählt wird. Die Apostelgeschichte erzählt: Nach dem Selbstmord des Jüngers Judas, der Jesus seinen Anklägern ausgeliefert hatte, wollen die Apostel in ihren Kreis einen Nachfolger wählen. Zwei Kandidaten werden aufgestellt, und durch das Los wird Matthias gewählt. Zuvor aber sprechen sie zusammen ein Gebet: "Herr, der du aller Herzen kennst, zeige an, welchen du erwählt hast von diesen beiden." (Apg 1, 24)

Zugegeben, diese Wahl hat nicht allen modernen Anforderungen entsprochen, aber sie zeigt: Nach christlichem Glauben sind Wahlen notwendig. Auf die Frage "Wie gehts jetzt weiter?" kann aber die Antwort nur lauten: Alles Weitere liegt in Gottes Hand, der, wie es in dem Gebet heißt, "die Herzen aller Menschen kennt" und der "erwählt" hat. Das ist keine fromme Floskel, sondern hier spricht sich der jüdisch-christliche Glaube aus, dass Gott ein Gott der Geschichte ist. Dass er ein Gott ist, der nicht nur die innersten Beweggründe der Menschen in der Hand hat, sondern auch die Entwicklung der Dinge und Verhältnisse.

Repräsentative Demokratie, die wählt und Aufträge erteilt, schenkt den gewählten Männern und Frauen viel Vertrauen. Dass dies allzu leicht verspielt werden kann, zeigen die Diskussionen in unserem Land. Nach christlicher Auffassung ist aber ein noch viel größeres Vertrauen nötig. Das Vertrauen nämlich, dass jenseits aller politischen Programme und Wertungen, jenseits aller klugen und unklugen Entscheidungen die Menschen und ihr Geschick sich nicht selbst überlassen sind. Weder in den USA noch sonst wo auf der Welt. Die Geschichte geht vielmehr - ja, so optimistisch ist der christliche Glaube! - einem guten Ziel entgegen.

Darauf kann sich die Hoffnung gründen, die mit dem Wahlergebnis im großen Land jenseits des Atlantik auch für die übrige Welt verbunden ist. Die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit für alle Völker der Erde.

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