Da capo: Im Gespräch
"Die Ohnmacht des Einzelnen ist vielleicht die gefährlichste Illusion, die ein Mensch haben kann." Regine Kather spricht mit Joseph Weizenbaum, Computerpionier und Informatiker (Radio Bremen: EA 12.Oktober 1995)
4. Jänner 2013, 16:00
"DER SPIEGEL" bezeichnete den Computerpionier Joseph Weizenbaum als den "zornigen alten Mann der Informatik". Als einen Mann, der sich im Lauf seines langen Lebens gewandelt hat - vom Computerpionier zum IT-Skeptiker. Joseph Weizenbaum, der vor den Nazis in die USA fliehen musste, war Mathematikstudent, als die ersten Computer entstanden. Und die Funktionsweise der Computer, dieser Logikmaschinen, faszinierte Weizenbaum. Vor allem die Frage, welcher Schritt vom Rechner zum "Elektronengehirn" und vom "Elektronengehirn" zur "Künstlichen Intelligenz" führen könnte.
Berühmt geworden ist Joseph Weizenbaum als es ihm 1966 gelang das Sprachanalyseprogramm ELIZA zu entwickeln. Weizenbaum schaffte es mit ELIZA, eine psychotherapeutische Sitzung zu simulieren. Das Programm war in der Lage, aus den Antworten der Versuchspersonen intelligent scheinende Fragen zu formulieren. Nicht wenige Probanden nahmen tatsächlich an, mit einem Menschen zu kommunizieren. Die Technikgläubigkeit der Kollegen entsetzte den Wissenschaftler, mit der Konsequenz, dass er zum Häretiker seiner Zunft wurde. Sein Credo: die Forderung mit der Technologie verantwortungsvoll umzugehen. Der Vietnam-Krieg öffnete Weizenbaum - wie er sagte - endgültig die Augen: zu viele IT-Programme standen im Dienst militärischer Interessen. Weizenbaum hat das Internet oft als "Misthaufen mit Perlen darin" beschrieben. Nur zehn Prozent der Information im Netz sei brauchbar. "Heute glauben alle, sie müssten nur googeln, um an relevante Informationen zu gelangen. Dabei muss man erst einmal lernen, richtige Fragen zu stellen. Gute Fragen sind wie ein wissenschaftliches Experiment." Denn sie setzten Wissen voraus. Joseph Weizenbaum wäre in der kommenden Woche 90 Jahre alt geworden.
Das Gespräch, das Regine Kather von Radio Bremen führt, wurde erstmals im Oktober 1995 ausgestrahlt.