Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

"Du sollst nicht begehren deines Nächsten Mitarbeiter"

Im Jahr 1844 schrieb der Dichter Heinrich Heine ein beißend spöttisches Gedicht über die politischen Eliten seiner Zeit. In einer Strophe prägte er eine heute noch gängige Redewendung:

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Am 9. Jänner in diesem Jahr hielt ein bedeutender Politiker eine Rede vor über 1000 Zuhörenden. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, erinnerte er die Anwesenden an einen wie er sagte "alten biblischen Grundsatz": Man soll nicht Wasser predigen und Wein trinken.

Ich erlaube mir dazu die Anmerkung, dass man besser nicht aus der Bibel zitieren sollte, was nicht in der Bibel steht.

Die Bibel empfiehlt an vielen Stellen, Wein zu trinken. Jesus selbst trank Wein, und sorgte dafür, dass er auf einer Hochzeit nicht ausging. Die Bibel hat auch noch andere Überraschungen bereit für die, die sich die Mühe machen, sie zu lesen:

Das letzte der zehn Gebote sagt: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist. Die Ehefrau, den Ehemann eines anderen zu begehren, galt immer schon als unanständig. Aber die Magd, den Knecht, also die Mitarbeiter eines anderen haben zu wollen, sie abzuwerben und zum Jobwechsel zu animieren, ist seit langem allgemeine Praxis.

Ich habe nicht den Eindruck, dass das irgendjemand unmoralisch findet. Ich habe den Verdacht, dass auch kaum jemand dieses biblische Gebot ernst nimmt. Im Gegenteil. Wer sich die Besten von der Konkurrenz ins eigene Boot holt, der gilt als wirtschaftlich klug.

Anfang der 1970-er Jahre gab es in Wien einen beängstigenden Mangel an Pflegekräften. Es war bekannt, dass auf den Philippinen die Krankenpflegerinnen eine hervorragende Ausbildung bekamen. Und so ließ die Stadt Wien rund 400 Krankenschwestern von den Philippinen einfliegen. Die ersten hat der Bürgermeister höchstpersönlich am Flughafen empfangen und begrüßt.

Der Anreiz, im Ausland zu arbeiten, war für die Frauen groß. Sie verdienten hier besser als zu Hause und konnten die Ihren daheim unterstützen. Dafür nahmen sie Fremdsein und Heimatlosigkeit in Kauf. Sie nahmen diskriminierendes Verhalten hin, von dem sie heute noch erzählen. Zuerst wurden viele nur als Putzhilfen eingesetzt. Mit der Zeit erarbeiteten sie sich die Möglichkeit, ihren erlernten Pflegeberuf auszuüben.

Ich habe nicht eine kritische Bemerkung zu dieser Praxis gehört, die sich auch heute in anderen Wirtschaftsbereichen weiter fortsetzt. Ein Land, meist ist es ärmer als unseres, bildet mit hohen Kosten und großen Anstrengungen Fachkräfte aus. Diese werden hier angeworben. Von dort abgeworben. Sie werden hierher geholt, um unseren Mangel auszugleichen. Ein Geschäft eigener Art ist das. Wir ersparen uns die Kosten für Schule und Ausbildung. Diese Leute fallen als fertig gebackene Krankenschwestern, als kompetente IT-Experten, als kundige Facharbeiter für uns vom Himmel. Dort, wo sie herkommen, wo alle Kosten getragen wurden, fehlen sie.

Im Dezember 2011 verwüstete ein Wirbelsturm die Philippinen. Hunderte Menschen starben. Die Zerstörung war enorm. Österreich half, wie viele andere Länder auch. Ich hörte stolze Worte über die Hilfsbereitschaft unseres Landes. Ich hörte Lob über die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung. Wir präsentierten uns als die Guten, die immer geben und nie nehmen. Niemand erwähnte in diesem Zusammenhang, dass philippinische Frauen seit vierzig Jahren unsere Kranken pflegen. Ich meine, dass alle Hilfe, die wir immer noch zum Wiederaufbau geben, nur recht und billig ist.

Ein kleines Dankeschön ist es für das, was wir in Jahrzehnten bekommen haben. Die Guten sind wir dabei jedenfalls nicht. Denn noch immer steht in der Bibel: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Mitarbeiterin und Mitarbeiter.

Sendereihe