Radiokolleg - Die Zukunft der Beduinen
Nomadische Stämme in Zeiten des politischen Umbruchs (3). Gestaltung: Monika Halkort
23. Jänner 2013, 09:05
Die Beduinen Ägyptens standen stets im Brennpunkt radikaler Umbrüche und Veränderungen. Ihr Lebensraum in den Grenzregionen auf der Halbinsel Sinai oder in der südöstlichen Provinz Aswan, nahe zum Sudan, hat sie zu einem entscheidenden Faktor in der Landesverteidigung gemacht. Doch im Gegensatz zu früher, als das Kampfgeschick der nomadischen Stämme von Ägyptischen Führern noch bewundert wurde, ist ihr Ansehen seit der Unabhängigkeit (1922) rapide gesunken. In den TV Serien des Pan Arabischen Satelliten-Fernsehens werden Kultur und Traditionen der Beduinen als Ausdruck von Primitivität und Rückständigkeit gehandelt. Die Ironie solcher popkulturellen Identitätskonstruktionen ist freilich, dass es eben gerade revolutionäre Modernitätsfantasien waren, die die traditionellen Lebensweise der Beduinen sukzessive zerstört und verändert haben.
Von Landwirtschaft und natürlichen Ressourcen allein können die nomadischen Stämme schon lange nicht mehr leben. Der Bau des Staudamms von Aswan in den 1960er Jahren hat weite Teile des wertvollen Weidelands der lokalen Ababda und Besharin Gesellschaften unter Wasser gesetzt. Der Staudamm war ein Vorzeigeprojekt Abdel Nassers und hat den weltweit größten künstlichen See geschaffen. Der massive Eingriff in die Landschaft, der damit einherging, hat tausende gezwungen ihre Heimatdörfer zu verlassen und sich in den Großstädten im Norden Ägyptens ein neues Leben aufzubauen. Auf der Halbinsel Sinai ist die Lage wenig besser. Systematische Diskriminierung durch die Zentralregierung in Kairo hat den Krieg mit Israel zur Haupteinnahmequelle der nomadischen Stämme gemacht. Der Schmuggel von Menschen, Waffen und lebenswichtigen Gütern nach Gaza bzw. Israel ist neben der Tourismusindustrie eine der wichtigsten Einkommensstränge beduinischer Gruppen. Die berühmt berüchtigten Tunnel zwischen Gaza und Sinai werden vor allem von Beduinen betrieben. Mit dem Fall des Mubarak-Regimes hat sich die angespannte Lage auf der Halbinsel massiv verschärft. Der Abzug von Armee und Sicherheitskräften hat zu einer Serie von Sprengstoffanschlägen und Attacken auf Grenzposten geführt. Manche Anschläge verfolgen rein militärische Zwecke und gehen auf militante Islamistische Gruppen zurück. Doch die neue Welle an Gewalt ist auch Ausdruck eines Hilferufs, die Halbinsel stärker in die neue politische Landschaft Ägyptens einzubinden und die Beziehung der Beduinen zum Rest des Landes neu zu verhandeln. Die Beduinen fordern Einfluss, Selbstverwaltung und Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen der Halbinsel. Bislang verliefen ihre Forderungen jedoch ins Leere. Obwohl den obersten Rängen der Armee klar ist, dass sie unmittelbar auf die Kooperation und das lokale Wissen der Beduinen angewiesen sind, um die Lage im Sinai zu beschwichtigen, sind entsprechende Verhandlungen bis heute nicht weit gekommen. Eine 4-teilige Reihe des Radiokolleg arbeitet den aktuellen Kampf aus einer historischen Perspektive auf und zeigt wie die Rolle der Beduinen als Spiegel und Brennpunkt widersprüchlicher Modernitätsphantasien den Lebensraum und die Lebensweise nomadischer Gesellschaften verändert und bis heute geprägt hat.
Service
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