Betrifft: Geschichte
Der Neid der Schwachen. Zur Soziologie des Antisemitismus. Mit Götz Aly, Zeithistoriker und Publizist. Gestaltung: Gerlinde Tamerl und Robert Weichinger
1. Februar 2013, 17:55
Antisemitismus lässt sich nicht auf einen Faktor reduzieren. Der Zeithistoriker Götz Aly hat sich sehr genau mit der Soziologie dieses "schmutzigen" Phänomens befasst und kommt dabei zu teilweise paradox anmutenden Erkenntnissen, deren scheinbare Widersprüche er jedoch aufzulösen vermag.
Eine Hauptquelle des Antisemitismus bildet die unterschiedliche Aufstiegschance für die christliche Mehrheit und die sich emanzipierenden Juden. Der soziale Aufstieg der Juden verläuft wesentlich schneller. Das liegt vor allem auch an der Religion, die im Judentum die genaue Kenntnis von Lesen und Schreiben voraussetzt, ebenso: Abstraktionsvermögen. Aly meint, dass es sich nicht um einen genetischen Vorteil handelt, dass Juden schließlich trotz jahrhunderterlanger Unterdrückung die lukrativeren Berufe erobern, sondern an den intellektuellen Voraussetzungen: Erziehung und Religion.
Während den Juden die eher schlecht bezahlten Berufe im öffentlichen Dienst verwehrt blieben, wählten sie ihrerseits die finanziell wesentlich einträglicheren freien Berufe. Das nun erzeugte eine Situation des Neides. Dieser Neid nimmt paradoxerweise in dem Maße zu, in dem die christliche Mehrheit in Deutschland in der Weimarer Republik, in Österreich in der Ersten Republik, ihre Bildungsdefizite aufzuholen beginnt. Antisemitismus, so Aly, ist nicht auf dreckige, rechte Ecken und miefige Biertische beschränkt, sondern erzählt auch von einem Unterlegenheitsgefühl, das immer Teil des Rassismus' ist. Daraus resultiert seine Anziehungskraft auf die Schwächeren. Gerade an den gesellschaftlichen Bruchlinien, in denen es um sozialen Aufstieg geht, zeigt sich Antisemitismus besonders deutlich.
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