Gedanken für den Tag
Von Arnold Mettnitzer. Hungerlieder zwischen Brot und Wein - Zum 40. Todestag von Christine Lavant. Gestaltung: Alexandra Mantler
1. Juni 2013, 06:56
Arnold Mettnitzer ist katholischer Theologe und Psychotherapeut:
Als letztes der neun Geschwister lebt Christine Lavant bei den Eltern
bis zu deren beider Tod innerhalb von sechs Monaten.
Dem wilden Treiben der anderen Kinder kaum gewachsen,
bleibt sie als Kind gern zurück in der einzigen Stube,
liest alles, was sie bekommen kann und
beginnt früh in der Obhut ihrer über alles geliebten Mutter zu schreiben.
Der plötzliche Tod beider Eltern stürzt sie in tiefe Depression.
Aber aus der dabei durchlebten Ohnmacht
wachsen kraftvolle,
von innen her mächtige Texte,
in denen sie auch als Leichnam noch
Klage führt und sich davor schützt,
billig vereinnahmt zu werden.
"Das war mein Leben, Gott, vergiss das nicht!",
heißt es in einem ihrer Gedichte.
"ich werde niemals wieder eines haben -
du kannst's verzögern, dass sie mich begraben
und dass mein Herz an diesem Kummer bricht;
doch seither bin und bleib ich eine Leiche.
Sag nicht, so viele hätten schon das gleiche
mit deiner Hilfe herrlich überstanden
und wären fromm und Heilige geworden.
Mein Leichnam tobt und will sich noch ermorden
und die dazu, die dich als Trost erfanden,
dort, wo du niemals wirklich wirksam bist.
An meinen Nerven zehrt ein Wolf und frisst -
bist das auch du? Und wühlt denn deine Hand
in meinem Häuflein glimmernden Verstands
so grob herum und hält mich überwach,
wenn alle schlafen? - Gott, sag das nicht nach,
sag keins der lauen Worte deiner Frommen!
Ich will ja nicht in ihren Himmel kommen!
Nur einmal noch - bevor sie mich begraben -
lass mich im Traum ein Fünklein Liebe haben."
(Christine Lavant, Die Bettlerschale. Gedichte, Otto Müller Verlag, Salzburg, 4. Auflage 1972, Seite 133)
Das ist das Großartige in der Lyrik der Christine Lavant:
Aus der Ohnmacht der Verzweiflung
wächst selbst in einem Leichnam noch
der Wunsch im Traum
nach einem "Fünklein Liebe" ...
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Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Titel: Sonate für Klavier zu vier Händen in C-Dur KV 521
* Andante - 2.Satz (00:05:39)
Ausführende: Duo Crommelynck
Ausführender/Ausführende: Patrick Crommelynck /Klavier
Ausführender/Ausführende: Taeko Kuwata /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Claves 508609