Zwischenruf

von Prof. Dr. Ulrich Körtner (Wien)

Glaubensschwäche

Der Protestantismus schwächelt. Das ist jedenfalls das Bild, das der Religionsmonitor 2013 der Bertelsmann-Stiftung zeichnet. Im internationalen Vergleich mit den anderen christlichen Konfessionen und Religionen zeigen sich Protestanten besonders glaubensschwach. Insgesamt gelangt die Studie zu folgendem Ergebnis: "Europa ist deutlich weniger religiös als Nord- und Südamerika sowie Indien und die Türkei. Verglichen mit anderen Aspekten des Lebens spielt Religion in Europa insgesamt eher eine nachgeordnete Rolle." Sieht man von den Konfessionslosen ab, verzeichnen die Protestanten in Europa allerdings die geringsten Glaubenswerte.


Religionsmonitor 2013

Der Religionsmonitor stuft fast 100 Prozent der Muslime als "hoch"- oder "mittelreligiös" ein. Unter den Katholiken sind es immerhin rund 85 Prozent, unter den Protestanten jedoch nur gut 70 Prozent. Allerdings besteht ein erheblicher Unterschied zwischen den Mitgliedern der evangelischen Landeskirchen und evangelikalen Freikirchen. In Schweden, das von seiner Geschichte her lutherisch geprägt ist, sagen rund 70 Prozent der Befragten, sie seien gar nicht oder nur wenig religiös, und selbst in Südkorea, wo es große protestantische Kirche gibt, nimmt die Religiosität besonders unter jungen Menschen ab. Allerdings ist der Anteil der Nichtreligiösen auch in Israel recht hoch.
Überhaupt schwindet unter jungen Menschen der Glaube, auch unter Katholiken, wie das Beispiel Spanien zeigt. Unter den deutschen Katholiken bezeichnen sich lediglich 26 Prozent als hochreligiös. Auch die katholische Kirche zeigt also Erosionstendenzen. Eine große Ausnahme bilden die USA - betrachten sich doch hier lediglich 30 Prozent als nichtgläubig -, aber auch Brasilien.


Keine voreiligen Schlüsse

Einfache Schlüsse und Prognosen lassen sich aus den vorliegenden Ergebnissen nicht ableiten. Von einer Wiederkehr und allgemeinen Zunahme von Religion kann man jedenfalls nicht sprechen. Vom weltweiten Absterben der Religion und einem heraufziehenden religionslosen Zeitalter freilich auch nicht. Abwegig ist auch die Annahme, Religion und Moderne würden sich prinzipiell nicht vertragen. Die USA oder Brasilien mit seiner aufstrebenden Wirtschaft belegen das Gegenteil.
Allerdings ist es offenbar ein Trugschluss, dass nur eine Religion, die sich auf Gedeih und Verderb der Moderne anpasst, überleben kann. Im Gegenteil: Eine Religion, die nur dem Zeitgeist hinterherläuft, hat den Menschen offenbar nichts mehr zu sagen und zu bieten. Attraktiv sind Formen von Religion, die ein Stück weit unangepasst sind, die für die Vision eines anderen Lebens stehen, jenseits von Materialismus und liberalem Pluralismus - sogar für Menschen, die nicht besonders religiös sind.


Die protestantische Gefahr der Selbstsäkularisierung

Das führt uns zu der Frage, inwieweit die Glaubenschwäche des Mainstream-Protestantismus zumindest teilweise hausgemacht ist. Ohne in einen kulturpessimistischen Klageton einstimmen zu wollen, gibt es im Protestantismus unbestreitbar Tendenzen zur Selbstsäkularisierung und Banalisierung der eigenen Glaubensinhalte. Kürzlich erlebte ich zum Beispiel eine evangelische Taufe. Dass die Taufe mehr als ein bloßer Kindersegen ist, weil man nämlich auf den Namen des dreieinigen Gottes und damit zu einem Christen getauft wird - blieb einigermaßen unklar. Die Eltern hatten sich ein modernes Glaubensbekenntnis gewünscht. Darin hieß es, wir glaubten an Jesus, weil er uns gezeigt habe, was wahre Liebe und Menschlichkeit ist. Von seinem Tod und seiner Auferstehung kein Wort. Was für ein Glaube ist das, der dem neugetauften Kind weitergegeben werden soll?
Allerdings muss auch gesagt werden: Glaube und Religion sind nicht in jedem Fall etwas Gutes. Man kann auch mit Inbrunst an einem Aberglauben hängen. Es geht nicht darum, wie religiös die Menschen sind, sondern woran sie ihr Herz hängen. Wie sagt doch Luther: Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.

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