Zwischenruf

von Pfarrer Roland Werneck (Wels, Oberösterreich)

"Geistvolle Wahlkampfzeiten!"

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat einmal gesagt: Wahlkämpfe sind Zeiten fokussierter Unintelligenz. In den nächsten Wochen haben die Politiker und Politikerinnen unseres Landes die Chance, zu beweisen, dass dieser Satz nicht stimmt. Hunderte Auftritte in der Öffentlichkeit wird es geben, schöne oder weniger schöne Plakate werden uns auf den Straßen begleiten, wir werden Interviews in den Zeitungen lesen, direkte Konfrontationen im Fernsehen verfolgen.

Um ehrlich zu sein: Meine Erwartungen an diese Formen der Auseinandersetzung sind nicht sehr hoch. Zu oft habe ich beobachtet, wie schnell in diesen Zeiten etwas versprochen wird und wie sehr gleichzeitig mit dem schnellen Vergessen dieser Versprechungen spekuliert wird. Aber ich lasse mich gerne überraschen. Es könnte ja sein, dass es diesmal anders wird. Dass die Kandidatinnen und Kandidaten diesmal keine leeren Floskeln und abgedroschenen Phrasen von sich geben. Dass sie nicht nur vorgegebene Sätze aus dem Wahlprogramm der eigenen Partei von sich geben, sondern sich bemühen, in einer verständlichen Sprache eigene Ideen zu entwickeln.

Ich wünsche mir, dass es in einer Demokratie einen Wettbewerb um die besten Vorschläge für die Zukunft gibt. Was ich in den letzten Vorwahlzeiten erlebt habe, war oft eine Stimmungsmache auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft. Wie wäre es, wenn unsere Politiker diesmal auf billige Polemik verzichten und stattdessen Visionen entwickeln würden, wie das Zusammenleben der Menschen in Österreich in den nächsten 20 Jahren besser funktionieren könnte? Programme der Versöhnung und des Dialogs statt ein gegeneinander Ausspielen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Pluralismus nicht als Bedrohung wahrnehmen, sondern als Chance?

Visionen sind gefragt!

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen". Dieser Satz wird einem ehemaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler zugeschrieben. Es stammt aus einer Zeit, in der behauptet wurde, gesellschaftliche Utopien hätten für immer ausgedient.
Mein Eindruck ist, dass es vielen heutigen Politikern genau daran mangelt: an Visionen und Utopien für unsere Zukunft, an kreativer Fantasie. Vielleicht lässt sich ja der eine oder die andere Kandidatin von der Bibel inspirieren. In diesem Buch gibt es nämlich für politisch denkende Menschen weit mehr zu lernen als die gerne angeführten 10 Gebote. Die Bibel ist voll visionärer Bilder, z.B. was das Zusammenleben der verschiedenen Generationen betrifft. Beim Propheten Joel im Alten Testament heißt es etwa:

"Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, Eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Visionen haben."
Wir wissen, dass unsere Gesellschaft in Zukunft immer älter werden wird. Was diese demographische Entwicklung nicht nur an Gefahren, sondern auch an Chancen mit sich bringen wird, davon war bis jetzt selten die Rede. Wie werden sich in Zukunft die Alten mit ihrem Potenzial einbringen können? Wo gibt es Begegnungsorte zwischen den Generationen? Was fehlt, ist ein Wettbewerb der Visionen: Was können die Jungen von den Erfahrungen der Alten lernen, wo können die Alten vom Wissen der Jugend profitieren, z.B. im Bereich den neuen Technologien? Dass der einzige bisherige Beitrag im Wahlkampf zu diesem schwierigen Thema der Streit um das Pensionsantrittsalter der Frauen war, empfinde ich als Zeichen dafür, dass es gerade hier noch an Ideen mangelt.

Keine Klientelpolitik, kein Schielen darauf, wo es die meisten Wählerstimmen zu holen gibt, sondern eine ehrliche Auseinandersetzung zwischen den Generationen, ein Dialog auf Augenhöhe - das wäre doch einmal ein etwas anderer Zugang, denn schließlich sind alle betroffen!

Der Geist weht, wo er will. Auch das steht in der Bibel. Dass Wahlkämpfe davon ausgenommen sind, steht zum Glück nirgends.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Hilmar Örn Hilmarsson
Titel: Ars Moriendi
Länge: 00:30 min
Label: SMS 01

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