Radiokolleg - Petro Politics

Öl als Schmiermittel der Politik (1). Gestaltung: Monika Halkort

Energierohstoffe waren ein zentraler Motor wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche und Fortschrittsmomente in Europa. Die zentralen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, also Gewerkschaften, Sozialdemokratie, Arbeitsrecht und Schutzbestimmungen für Werksangestellte, wären ohne die Abhängigkeit von Kohle nicht denkbar gewesen. Daran konnte auch der Umstieg auf Öl nach Ende des zweiten Weltkrieges nichts ändern. Jedoch war das Fortschreiten der Demokratisierung in Amerika und Europa im Zuge der Massenindustrialisierung unmittelbar an den Zugang zu billigen Rohstoffen in Afrika und der Arabischen Welt geknüpft. Um den abzusichern, wurden ähnliche Versuche der politischen Mobilmachung unter Öl und Minenarbeitern im globalen Süden im Keim erstickt.

Saudi Arabien und die Golfstaaten verfügen bis heute über die weltweit größten Ölvorkommen. Die großen Nutznießer dieser Ressourcen waren bis in die 1970er Jahre jedoch die aufstrebenden Wirtschaftsmächte im industrialisierten Norden. Dass Öl nicht ebenso nachhaltige Demokratisierungsbewegungen in der Arabischen Welt mit sich gebracht hat liegt jedoch nicht an der autokratischen Herrschaft arabischer Ölmonarchien. Und auch nicht and den repressiven Bedingungen über die Amerika und Europa ihren Zugang zu billigen Energieressourcen sicherstellen. Der Mangel an organisierten Arbeiterbewegungen in den ölproduzierenden Ländern, so der Amerikanische Nah Ost Historiker Timothy Mitchell, liegt vielmehr an den physischen Eigenschaften des Rohstoffs selbst. Mitchell hat vor kurzem ein vielbeachtetes Buch zum Thema Carbon Democracies herausgebracht. Darin arbeitet er sukzessive den wechselseitigen Zusammenhang zwischen den materiellen und politischen Bedingungen der Ölproduktion auf. Ölgewinnung, so eine seiner Thesen, ist weitaus weniger arbeitsintensiv als der industrielle Kohleabbau und macht Produzenten wie Importeure damit weitaus weniger angreifbar für Streikbewegungen und organisierten Boykott. Neben Mitchell kommen in dieser Radiokollegreihe auch politische Aktivisten, Soziologen und Ökonomen aus dem Arabischen Raum zu Wort und arbeiten die Geschichte des Öls als Schmiermittel der Politik anhand seiner geologischen und physischen Eigenschaften neu auf.

Service

Thomas Seifert & Klaus Werner (2005) Schwarzbuch Öl, Deuticke/Zsolnay-Verlag, Wien.
Timothy Mitchell (2011), Carbon Democracy, Verso Books, London.
Adam Hanieh (2011) Capitalism and Class in the Gulf Arab States by , Palgrave Macmillan, New York.
Robert Vitalis (2006) America's Kingdom. Mythmaking on the Saudi Oil Frontier, Standford University Press.

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