Tonspuren

"Es gibt nichts in der Welt, was bei mir so den Blutdruck erhöhen kann wie Ungarn." Porträt zum 70. Geburtstag des Schriftstellers und Historikers György Dalos. Feature von Alfred Koch

Seit die ungarische Regierung unter Viktor Orbán daran gegangen ist, die Gesellschaft nationalpatriotisch umzugestalten, ist es um Ungarns Ansehen im Ausland schlecht bestellt.
Umstrittene Verfassungsänderungen, Einschränkungen der Pressefreiheit, rechte Garden die angsterfüllte Roma-Siedlungen terrorisieren - die Diskrepanz zwischen dem Bild,
das die Regierung als Image Ungarns für wünschenswert hält, und der Wahrnehmung von
außen ist immer offensichtlicher. Am beunruhigendsten ist aber , so der Schriftsteller
György Dalos, dass sich seit den späten 90er Jahren die politische Kultur in Ungarn in eine
Hasskultur verwandelt hat, in der jede Kritik an autoritären Entwicklungen als Landesverrat
denunziert wird. Was zur Folge hatte, dass viele Intellektuelle auf gepackten Koffern
sitzen. Etwa eine halbe Million Ungarn haben in den vergangenen Jahren das Land
verlassen. Echte, tiefe Ängste und kollektive Hysterie vermengen sich in der neuen
Auswanderungswelle, die eine alte, beinahe vergessene Frage aus den siebziger Jahren
wieder aktuell werden lässt: Gehen oder bleiben? György Dalos war bis 1968
Mitglied der ungarischen KP, als er wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" Berufs- und
Publikationsverbot erhielt. 1987 emigrierte er zunächst nach Wien, später nach Berlin,
wo er bis heute als freier Schriftsteller lebt. "Ungarn sorgt dafür, dass mein chronisch
niedriger Blutdruck auf einem gewissen Niveau bleibt. Ich lese die ungarischen Medien,
werde zornig und erspare mir die Medikamente."

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