Zwischenruf

von Superintendent Olivier Dantine (Innsbruck)

Ein wichtiger und spannender Tag wird es heute in Österreich - der Wahltag, der für die nächsten fünf Jahre die Weichen in unserem Land stellt. Selbstverständlich möchte ich heute früh die Gelegenheit nutzen, an Sie den Appell zu richten, wählen zu gehen. Nutzen Sie bitte diese für uns Wahlberechtigte wirklich nicht aufwendige Möglichkeit zur Mitgestaltung in unserem Land.

Genauso selbstverständlich werde ich nicht sagen, wen ich wählen werde, schon gar nicht werde ich Ihnen eine Wahlempfehlung geben. Das übrigens verbieten unsere Kirchengesetze. Geistlichen Amtsträgerinnen und Amtsträgern der evangelischen Kirche ist es, solange sie ihr Amt ausüben, untersagt, öffentlich für eine wahlwerbende Partei Stellung zu beziehen. Das hat gute Gründe. Es hat der Glaubwürdigkeit der Kirchen nie gut getan, auf der Seite der politisch Mächtigen zu stehen. Die Einheit von Thron und Altar war in Europa bei katholischen wie protestantischen Herrscherhäusern gang und gäbe. Vielleicht liegt ja da ein Grund für die in Europa zunehmende Entfremdung vieler Menschen von ihren Kirchen. Ähnlich problematisch war die Tendenz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sich eindeutig mit Ideologien einzelner Parteien zu identifizieren. Viele Evangelische fühlten sich durch die große Nähe der Regierung des Ständestaates zur römisch-katholischen Kirche stark benachteiligt, und begaben sich ihrerseits in große ideologische Nähe zur nationalsozialistischen Partei.

Diese Erfahrungen haben das Verhältnis von Politik und Kirche in Österreich nachhaltig gestört. Dass ehemalige kirchliche Amtsträger, so wie es in Deutschland vor allem nach der Wiedervereinigung nicht unüblich war und ist, hohe politische Ämter bekleiden, ist in Österreich noch schwer vorstellbar. Das einzige mir bekannte Beispiel aus den letzten Jahren ist die frühere burgenländische Superintendentin Gertraud Knoll. Sie hat mit ihrer Kandidatur zur Bundespräsidentin und später mit ihrem Wechsel in die Politik innerhalb unserer Kirche große Diskussionen ausgelöst.

Die Kirche und ihre Amtsträgerinnen und Amtsträger sollen sich also aus dem Wettbewerb der politischen Parteien heraushalten. Dass sie sich aber überhaupt aus der Politik heraushalten sollen, wäre, so finde ich, ein grobes Missverständnis. Wenn wir uns in der Nachfolge Jesu verstehen und uns daher einsetzen für ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft, für die Zuwendung zu schutzbedürftigen und verletzlichen Menschen, egal woher sie kommen; wenn wir den göttlichen Auftrag zum Frieden, zur Gerechtigkeit und zur Bewahrung der Schöpfung wahrnehmen, dann ist das politisches Handeln. Es hat sich aber etwas Wesentliches geändert: Wenn Kirche in früheren Jahrhunderten nicht selten auf Seiten der politisch Mächtigen stand, so findet sie sich jetzt sozusagen auf der anderen Seite: Die Kirche ist Teil der Zivilgesellschaft geworden.

Genau diese Zivilgesellschaft ist es auch, die aus meiner Sicht für eine funktionierende Demokratie unverzichtbar ist. So wichtig der heutige Wahltag ist, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger kann sich nicht auf den Gang zur Wahlurne beschränken. Demokratie lebt von einzelnen Menschen und von Gruppen, die sich gesellschaftlich engagieren, Stellung beziehen, sich am öffentlichen Diskurs über politische Themen beteiligen; Menschen, die Zivilcourage zeigen, sich für das Gemeinwohl einsetzen, gemeinsam an der Verbesserung ihres Umfeldes arbeiten und sich auch Menschen zuwenden, die ausgegrenzt werden.

Die Kirche ist Teil dieser Zivilgesellschaft, das macht die evangelische Kirche in diesem Jahr besonders deutlich, in dem sie die Diakonie zum Schwerpunkt macht. Nirgends deutlicher als im diakonischen Handeln werden die Zuwendung der Kirche zu den Menschen und ihr Engagement für das Gemeinwohl sichtbar. Weltzugewandt ist die Kirche und damit politisch.
Und was jeden einzelnen Christen und jede einzelne Christin betrifft: Auch sie sind aufgerufen, die Welt zu gestalten. Nicht jeder und jede wird ein politisches Amt übernehmen, nicht jeder wird sich in Parteien oder Bürgerinitiativen engagieren. Aber auf seine Umgebung acht zu geben, sich für ein gutes Miteinander etwa in der Nachbarschaft zu bemühen, damit fängt die Gestaltung der Welt schon an. Jeder und jede von uns hat eine Verantwortung für die Welt, nehmen wir Sie auch wahr!

So wünsche ich Ihnen einen schönen Spaziergang zum Wahllokal und einen spannenden Wahlabend!

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