Gedanken für den Tag

9. Oktober 2013, 06:56

Einer der größten Hits von Giuseppe Verdi, der dieser Tage vor 200 Jahren geboren wurde, ist der "Gefangenenchor" aus seiner frühen Oper "Nabucco". "Va, pensiero, sull'ali dorate" - "Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht": So besingen die in Babylon gefangen gehaltenen Hebräer ihre verlorene Heimat. Das Stück wurde im Nachhinein zur heimlichen Hymne des damals noch auf mehrere Herrschaftsgebiete aufgeteilten Italien verklärt. Neuere Forschungen allerdings haben für diesen Mythos keine zeitgenössischen Belege gefunden.

Eine längst obsolet gewordene politische Botschaft wäre auch keine plausible Erklärung für die anhaltende Beliebtheit des "Gefangenenchores" in aller Welt. Dieses Stück wirkt weit über den Kreis der Opernliebhaber hinaus, weil es zu einer sehnsuchtsvollen Melodie die Heimat beschwört. Heimat als Bezeichnung für jenen konkreten Ort, der die Identität des Menschen prägt - das ist natürlich etwas anderes als das Vaterland, das von der im 19. Jahrhundert geborenen Ideologie des Nationalismus hochgehalten wird.

Die Idee der Heimat ist universell. Man muss nur die Zeugnisse jener lesen, die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus Österreich vertrieben wurden: Die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zieht sich wie ein roter Faden durch die Exilliteratur.

"O membranza sì cara e fatal!", "O schmerzlich süßes Angedenken", heißt es in Verdis "Gefangenenchor". Das ist aus heutiger Sicht ziemlich pathetisch formuliert - doch wer kennt nicht die schmerzliche Süße, die sich Deiner bemächtigt, wenn die Erinnerung an den Ort der ersten kindlichen Abenteuer, an den Ort der ersten Freundschaften zurückfliegt?
Mit Sinn kann den Begriff Heimat wohl nur jeder für sich selber füllen. Der Kosmopolit, Pazifist und Autor Raymond Walden meint dazu: "Die Heimat des Weltbürgers wird scharfsinnig erspürt, die des Volkstümelnden wird erjodelt." Und der Liedermacher Georg Danzer brachte seinen Begriff von Heimat einmal auf die einfache Formel: "Heimat ist, wo meine Kinder schlafen".

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