Gedanken für den Tag

Von Mirja Kutzer, Germanistin und katholische Theologin. "November-Liebe". Gestaltung: Alexandra Mantler

Das 12. Jahrhundert hat eines der bekanntesten Liebespaare der abendländischen Geschichte hervorgebracht. Er, Abaelard, ist ein gefeierter Theologielehrer in Paris. Sie, Heloisa, ein ungewöhnlich schönes und gebildetes junges Mädchen. Um ihr nahe zu kommen, wird Abaelard ihr Hauslehrer. Schon bald geschehen in der Studierstube ganz andere Dinge als das Studium lateinischer Texte. Zum sexuellen Begehren tritt die Liebe. Herz und Herz, so schreibt Abaelard Jahre später, haben sich miteinander verbunden.

Die Geschichte endet tragisch. Die Familie bemerkt die Liaison und schickt nach einigem Hin und Her ihre Schergen, die Abaelard nachts überfallen und kastrieren. Abaelard überlebt den Anschlag. Er tritt in ein Kloster ein und bringt auch Heloisa dazu, Nonne zu werden. Jahre später schreiben sie einander Briefe. Heloisa ist mittlerweile eine hochgelobte Äbtissin, Abaelard ein vielfach angefeindeter Abt. Während Heloisas Briefe immer noch vor Leidenschaft sprühen, wahrt Abaelard die Distanz. Er sei von seinen Begierden geheilt. Gott habe ihn auf den rechten Weg zurückgeführt. Allerdings legen seine Briefe nahe, dass er seine Emotionen lediglich überspielt.

Bis heute ist umstritten, ob diese Briefe authentisch sind. Deutlich ist, dass sie nicht allein für die private Lektüre bestimmt waren. In ihnen werden prinzipielle und bis heute kaum gelöste Fragen abgehandelt: Ist eine Liebe, die den anderen besitzen will, vereinbar mit einer Liebe, die für den Geliebten das Gute möchte? Und kann ich Gott wahrhaft lieben, wenn mir doch das Liebste auf der Welt ein anderer Mensch ist?

Das Paar findet in seinen Briefen keine befriedigende Lösung. Am Ende wenden sie sich dem Alltag zu und entwerfen ein Modell des idealen klösterlichen Zusammenlebens. Diese Nonnenregel ist möglicher Weise Sinn und Zweck des gesamten Briefwechsels. Doch machen die emotional aufgeheizten Briefe vorher deutlich, mit wie vielen Brüchen ein Leben durchzogen ist, selbst wenn es nach außen ideal anmutet. Die Briefe bewahren diese Brüche - und ein bleibendes Begehren.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Howard Shore
Vorlage: J.R.R. Tolkien
Gesamttitel: THE LORD OF THE RINGS: THE FELLOWSHIP OF THE RING/Original Filmmusik
Titel: Concerning Hobbits
Anderer Gesamttitel: DER HERR DER RINGE - DIE GEFÄHRTEN / Original Filmmusik
Orchester: London Philharmonic Orchestra
Orchester: New Zealand Symphony Orchestra
Leitung: Howard Shore
Länge: 02:00 min
Label: Reprise 9362481102

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