Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker. "Sag die Wahrheit, nicht nur das, was real ist" - Zum 100. Geburtstag des Theatermenschen und Schriftstellers George Tabori. Gestaltung: Alexandra Mantler

George Tabori wurde am 24. Mai 1914 in Budapest geboren. Sein ursprünglicher Name war György Tábori. Der Familienname hat eine Bedeutung: tábor ist das ungarische Wort für Lager, Tábori bedeutet daher: der aus dem Lager. Der Name klingt wie eine schaurige Vorhersage des Familienschicksals: Der Vater, Cornelius Tábori, wurde in Auschwitz ermordet, die Mutter entging diesem Tod nur knapp. In Ungarn begann der Holocaust im März 1944, als Nazi-Deutschland das Land besetzte. Siebzig Jahre danach begeht Ungarn daher ein Holocaust-Gedenkjahr. In einer Budapester Synagoge, die heute integrierter Bestandteil des Holocaust-Museums ist, finden sich viele Stelen der Erinnerung; eine davon ist Cornelius Tábori gewidmet.

In gewissem Sinn ist aber auch George Tabori "der aus dem Lager" geblieben: In seinem Stück "Die Kannibalen" hat er als erster Auschwitz auf die Bühne gestellt, und im Grunde rumort der Holocaust in all seinen Stücken. Er selbst ist ihm in England entkommen, aber heimisch geworden ist er dort nicht. "Ich habe mich immer als Fremder gefühlt. Nicht als Ungar, nicht als Engländer, nicht als Amerikaner", sagte er einmal; und: "Für mich ist die Heimat, ich habe es mal so formuliert: Bett, Bühne, Bücher." Ganz unpathetisch sah er seine Heimatlosigkeit, und als gute Sache - denn ein Schriftsteller muss, davon war er überzeugt, ein Fremder sein.

Auch sein Bruder Paul hat den Holocaust in England überlebt. George Tabori liebte sein Motto "Sag die Wahrheit, nicht nur das, was real ist." In seinen Stücken fand er eine eigene Methode, diese Wahrheit zu sagen: in greller, brutaler Komik, durchsetzt von Beckett'schem Surrealismus. Mit gutem Geschmack oder pietätvoller "Bewältigung" hat Taboris Trauerarbeit nichts zu tun. Als er 1969 mit seiner Horrorfarce "Die Kannibalen" aus New York nach Berlin gekommen war, schrieb er ins Programmheft, Sentimentalität oder gar Sympathie mit dem Leid sei eine Beleidigung der Toten, denn: "Das Ereignis ist jenseits aller Tränen." Für Péter Esterházy sind Taboris Stücke "ein Feldzug gegen die Langeweile, ein Feldzug gegen die wichtige, bedeutende, moralische, humane, gut gemeinte Langeweile".

Service

George Tabori, Autodafé und Exodus. Erinnerungen, Verlag Klaus Wagenbach
George Tabori, Das Oper, Verlag Steidl
George Tabori, Gefährten zur linken Hand", Verlag Steidl
George Tabori, Ein guter Mord, Verlag Steidl
George Tabori, Tod in Post Aarif, Verlag Steidl
George Tabori, Theater. Band 1, Verlag Steidl
George Tabori, Mein Kampf. Textausgabe und Materialien, Verlag Klett-Cotta
George Tabori, Mutters Courage, Verlag Klaus Wagenbach
Stefan Scholz, Von der humanisierenden Kraft des Scheiterns. George Tabori - Ein Fremdprophet in postmoderner Zeit, Verlag W. Kohlhammer
Anat Feinberg, George Tabori, Deutscher Taschenbuch Verlag
Jan Strümpel, Vorstellungen vom Holocaust. George Taboris Erinnerungs-Spiele, Wallstein Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/geb.1955
Gesamttitel: TROIS COULEURS: BLANC / Original Filmmusik
Titel: Morning at the hotel
Anderer Gesamttitel: DREI FARBEN: WEISS / Original Filmmusik
Ausführende: The String Sextett
Ausführender/Ausführende: Zbigniew Paleta /Violine
Länge: 02:00 min
Label: Virgin 394722

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