Im Gespräch
"Am Krieg war niemand schuld." Renata Schmidtkunz spricht mit Karl Habsburg-Lothringen, Land- und Forstwirt
26. Juni 2014, 21:00
Mit der Großmutter musste er mit seinem VW Golf große Umwege fahren, um mit ihr von der Schweiz nach Deutschland zu kommen. Denn Österreich durfte die würdevolle Dame bis November 1982 nicht betreten. Einer der wichtigsten Werte des - wie er sich selbst bezeichnet - wertkonservativen Liberalen ist die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft - obwohl er selbst seit Jahren von seiner Frau getrennt lebt. Am Ausbruch des Ersten und auch des Zweiten Weltkrieges sei der Nationalismus schuld gewesen, er selbst fühlt sich als europäischer Patriot, der Subsidiarität als ein gesellschaftliches, nicht als ein politisches Prinzip erachtet. Aufgewachsen ist er mit 5 Sprachen in einer Familie, in der zur gleichen Zeit sein Vater deutscher Abgeordneter, er selbst österreichischer Parlamentarier war, seine Bruder ungarischer Botschafter bei der EU, eine Schwester schwedische Abgeordnete und eine andere Schwester georgische Botschafterin in Berlin waren.
Habsburg heißt: 800 Jahre lang Berufspolitiker hervorgebracht zu haben und bis heute eine Verpflichtung gegenüber und eine Verbundenheit mit den Völkern der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie zu fühlen.
Als Karl Habsburg-Lothringen, mein heutiger Gast, der Enkel des letzten amtierenden österreichischen Kaisers, am 11. Januar 1961 in Starnberg in Bayern zur Welt kam, hatte die Republik Österreich einen neuen Staatsbürger. Die 1919 vom ersten republikanischen österreichischen Parlament verabschiedeten sogenannten "Habsburgergesetze" waren bis dahin so oft novelliert worden, dass Karls Eltern, Otto Habsburg-Lothringen und Regina, geborene Prinzessin von Sachsen-Meiningen, für ihren Sohn die österreichische Staatsbürgerschaft in Anspruch nehmen konnten.
Karl, seit 1993 mit der Kunstsammlerin und Kuratorin Francesca, geborene Freiin Thyssen-Bornemisza de Kászon et Impérfalva, verheiratet, aber getrennt lebend, war jahrelang für die ÖVP im österreichischen Parlament und ist seit 2008 ehrenamtlicher Präsident der "Association of National Committees of the Blue Shield" mit Sitz in Den Haag. Wiederholt leitete er in dieser Funktion Fact Finding Missionen in den Nahen Osten - so etwa 2011 nach Ägypten und Libyen, um Zerstörungen und Plünderungen während der dortigen Revolutionen zu dokumentieren. Karl Habsburg-Lothringen ist Forst- und Landwirt, international tätiger Geschäftsmann, ausgebildeter Pilot, Vater dreier Kinder und das Oberhaupt des weltweit ca. 650 Mitglieder umfassenden Hauses Habsburg.
Im Zentrum des nun folgenden Gespräches steht die Frage, welche Auswirkungen die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo und der damit verbundene Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis heute auf das Haus Habsburg haben und was es im Jahr 2014 bedeutet, ein Habsburger zu sein.
Service
Frank Gerbert, "Endstation Sarajevo", Verlag Kremayr-Scheriau 2014
Jörn Leonhard, "Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges", C.H.Beck Verlag
Timothy Snider und Tony Judt, "Nachdenken über das 20. Jahrhundert", Hanser Verlag
Christa Hämmerle, "Heimat, Front. Geschlechtergeschichte(n) des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn", Böhlau Verlag
Aus der Reihe: Literatur und Kritik, März 2014, "Der vergessene Krieg", Otto Müller Verlag Salzburg