Gedanken für den Tag

30. Juni 2014, 06:56

Nicht, dass du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.

Diese Worte stammen von Rainer Maria Rilke. Die Nachricht, von der er spricht, die es nicht zu sagen, sondern nur zu hören gilt, berührt mich tief, als wäre sie ein heimliches Versprechen, ein Menschenrecht.

Als Schauspieler habe ich früh gelernt, dass die Stille, mehr als alles andere, mein wichtigster Spielpartner ist. Das atmende Schweigen zwischen den Worten, es reicht tiefer als jeder Text es kann. Doch halt: Es geht ja um Dialog. Heißt das nicht: miteinander reden? Sich verständlich machen? Und die Worte des anderen hören?

Kürzlich wurde mir eine Anekdote erzählt. Da sitzt ein Ehepaar im Bus, die Frau moniert: "Du verstehst mich nicht." Ihr Mann antwortet: "Doch, ich versteh dich schon, aber ich weiß nicht, was du meinst."

In der Tat: Wir verstehen oft schnell. Schneller als der Sprecher selbst. "Alles klar", so lautet die Beschleunigungsformel. Was geschieht, nennen wir Dialog. Doch in meinen Ohren klingen solche Gespräche oft so, als würden sich verlorene Bergsteiger ans Notruftelefon klammern. Ein jeder vermutet die Rettung am anderen Ende der Leitung. "Hör mir doch endlich zu", rufen wir. Wer hilft uns?

Ich bin überzeugt: Die Rettung liegt in der Stille. Im Innehalten vor der Antwort, vor dem schnellen Verstehen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten. Höre die Stille, den Atem, den Wind. Höre die Botschaft, die jenseits der Worte erklingt, da, wo wir den Mut haben, ein wenig zu schweigen.

Service

CD, Ulrich Reinthaller, "Rilke. Duineser Elegien I - V", ORF

Dialogikum Phönixberg 2014

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