Gedanken für den Tag

von Ulrich Reinthaller, Schauspieler, Dialogprozessbegleiter und Intendant des Dialogfestivals "Dialogikum Phönixberg". "Ich weiß, dass ich nicht alles weiß" - Dialog als Kunst, gemeinsam zu denken. Gestaltung: Alexandra Mantler

Dialog. Wenn ich darüber nachdenke, worin das Wunder des Dialogs tatsächlich besteht, so staune ich selbst darüber, dass eben dieses Wunder beinahe unfassbar, unhaltbar, im besten Sinne un-säglich zu sein scheint. Das Unsägliche - es erschreckt mich heute, anders als früher, nicht mehr. Das Wunder des Dialogs vollzieht sich nicht nur im Wort. Zwischen den Zeilen, zwischen dem einen und dem anderen Gespräch, da sickert es, formt es sich um, da kommt es zur Ruhe und taucht in neuem Gedanken-Spiel wieder empor.

Der Wert des Unsäglichen - ist es heute noch möglich, ihn zu beschwören? Heute, da wir uns dem Messbaren verschrieben haben, in einer Zeit, in der die Wiederholbarkeit zum Maß dafür geworden ist, ob wir etwas für gültig ansehen. Haben wir noch Platz für das Unbegreifliche?

Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster,

Rilkes Worte, die Worte des Dichters. Kunst und tiefe Wissenschaft. Nicht messbar, nicht wiederholbar - man könnte sie kein zweites Mal gleich sprechen, gleich denken, gleich fühlen. Die Kunst lehrt uns das, was der Dialog erfahrbar macht und was auch die Wissenschaft mehr und mehr bekennt: Alles ist nicht wie es scheint. Wir selbst können uns nicht aus dem Spiel nehmen, als ob wir nichts zu tun hätten mit der zu erforschenden Welt. Indem wir sprechen und die Welt in höchstem Maße persönlich beleuchten, indem wir uns einbringen, als Menschen, die niemals gleich und wiederholbar sind, eröffnet sich ein Wissen, das nicht am Seziertisch gefunden werden kann. Der Dialog baut Brücken. Er versöhnt Kunst und Wissenschaft, Mystik und Menschheit. Nicht da, wo wir mit Wahrheiten prahlen. Sondern da, wo wir fragen und uns erlauben, auf unsägliche Weise in die Antwort hineinzuwachsen, die schon bereit liegt und die sich doch niemals ganz erschließt.

Service

CD, Ulrich Reinthaller, "Rilke. Duineser Elegien I - V", ORF

Dialogikum Phönixberg 2014

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Philipp Telemann/1681 - 1767
Titel: Konzert für Blockflöte, Streicher und B.c. in C-Dur
* Allegretto - 1.Satz (00:04:00)
Blockflötenkonzert
Solist/Solistin: Karl Stangenberg /Flöte, Flauto dolce
Orchester: Mainzer Kammerorchester
Leitung: Günter Kehr
Ausführender/Ausführende: Günter KEHR/16.3.1920 Darmstadt - 22.9.1989 Mainz
Länge: 02:00 min
Label: Metropolitan 59016

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