Zwischenruf

von Susanne Heine (Wien)

Das Böse und die Sünde

Lizenz zum Töten - so der Titel eines James Bond-Films von 1989. Agenten und Soldaten wird die Lizenz zum Töten erteilt, in manchen Staaten auch den Gerichten. Aber abgesehen davon, dass das wenig erfreulich ist, wird in der Welt getötet - ohne Lizenz. Selbsternannte Krieger ermorden Tausende von Menschen und verwüsten ganze Landstriche. Das hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben. Heute werden solche Aktionen im Internet bühnenreif inszeniert.

Was fährt da in die Menschen, dass sie zu Killern werden? Ist es das Böse? Aber was ist das Böse? Früher hat man vom Satan gesprochen, vom Teufel, der in die Menschen fährt, aber der wurde inzwischen abgeschafft. Stattdessen gibt es psychologische Erklärungen: Dahinter stehe die destruktive Leidenschaft der Verlierer, das Bedürfnis, ein Held zu sein und sich Anerkennung zu verschaffen. Ausbrechen aus der Routine eines miserablen Jobs und Aufbruch ins große Abenteuer. Sich als gedemütigtes Opfer sehen und dafür Rache nehmen, auch wenn die Welt dabei zur Hölle wird. Solche Erklärungen enthalten plausible Momente, aber können sie das Maßlose erfassen, das da geschieht? Wird das Böse damit nicht kleingeredet?

Besonders verwirrend ist dabei, dass Gewalttäter nicht um der Gewalt willen agieren, sondern um eines angeblich höheren Zieles willen. Dieses Ziel kann Gerechtigkeit heißen oder Gott und seine gerechte Herrschaft. Dafür werden auch Opfer gebracht, wenn es denn sein muss, das eigene Leben.

Es kann kein Zufall sein, dass das Vaterunser zwei Bitten enthält: Vergib uns unsere Schuld, und: Erlöse uns von dem Bösen (Mt 6,12f). Die Bitte um Vergebung reicht also nicht aus. Es ist nicht notwendig, sich das Böse personifiziert als den Teufel vorzustellen, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Denn persönliche Verfehlungen Einzelner können die Attraktion nicht erklären, die diktatorische Gewalt und das Töten ohne Lizenz auf ganze Bevölkerungsgruppen ausüben, und sie zu Tätern machen. Die Bibel hat dafür einen Begriff: Sie spricht von der Sünde. Ich weiß, dieses Wort ist aus der Mode gekommen, weil sich anständige Leute nicht herabsetzen und für das Gewaltgeschehen in der Welt nicht verantwortlich machen lassen. Aber die Sünde bezieht sich nicht nur auf meine und deine Schuld, sondern wird in der Bibel als eine Macht gesehen, die dem Geschehen in der Welt den Stempel aufdrückt und eine eigene Dynamik mit Sogwirkung entwickelt. Wie das aussieht, lässt sich aus den täglichen Nachrichten entnehmen: Krieg, Terrorismus, Menschenhandel, Flüchtlingsströme, politische Machtkämpfe, Ausbeutung, Korruption. Und das nicht erst heute.

Mir geht es wie Matthias Claudius, der in einem Gedicht schreibt: "'s ist leider Krieg, und ich begehre nicht schuld daran zu sein!" Aber erst, wenn ich von der kleinkarierten individuellen Perspektive absehe, kann ich die christliche Sicht verstehen, die besagt: Ich bin zwar nicht schuld an dem allem, aber die Welt ist von der Macht der Sünde bestimmt, die Menschen nachhaltig verblendet, so dass sie auch in bester Absicht Unheil anrichten und im Namen Gottes oder der Gerechtigkeit Gewalt ausüben können. Die Macht der Sünde kann nicht vergeben, sondern nur gebrochen werden. Deshalb die Bitte an Gott: Erlöse, befreie uns von dem Bösen. Wer die Welt selbst vom Bösen reinigen will, ist bereits der Macht der Sünde erlegen. Denn Menschen können das Gute nur in Grenzen verwirklichen, und die Grenzen- und Maßlosigkeit kennzeichnet das Böse, die Macht der Sünde.

Das Böse, die Sünde, auch der Teufel - das sind Namen für eine Dynamik, die niemand wirklich verstehen kann, die aber offensichtlich am Werk ist. Wer Namen hat, kann benennen, muss nichts kleinreden, kann auf der Hut sein und statt zum Gewalttäter zum Friedenstäter werden, den Jesus in der Bergpredigt glücklich nennt (Mt 5,9). Und muss keine Rache schwören. Selbst den Brudermörder Kain schützt Gott nach dem Alten Testament, der jüdischen Bibel, mit einem Zeichen, damit niemand ihm vergilt und ihn erschlägt (Gen 4,15). Und nach dem Koran in Sure 5 sagt Abel zu seinem Bruder: "Wenn du nach mir deine Hand ausstreckst, um mich zu töten, so will ich meine Hand doch nicht nach dir ausstrecken, um dich zu töten", denn ich fürchte Gott (Sure 5,28). Gottesfurcht statt Gewalt im Namen Gottes - das wäre die bessere Möglichkeit.

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