Dimensionen - die Welt der Wissenschaft
Menschen essen Menschen. Von Menschenfressern und ihren Entdeckern.
Gestaltung: Marlene Nowotny
19. Jänner 2015, 19:05
Das Fremde, Wilde, Unzivilisierte galt seit jeher als große Projektionsfläche für europäische Entdecker und Ethnologen. Wenn sich die zivilisierte Welt Europas selbst bescheinigen wollte, human und fortschrittlich zu sein, dann tat sie dies gern in Abgrenzung zu "den Wilden". Deren Unmenschlichkeit und rückschrittliche Entwicklung wurde oft an ihrer vermeintlichen Menschenfresserei festgemacht. Marco Polo vermutete solche Anthropophagen im 13. Jahrhundert etwa auf einer der Andamenen-Inseln im indischen Ozean, deren Bewohner/innen er ein hundeähnliches Aussehen attestierte und die Angewohnheit, alle zu fressen, die nicht zu ihrem eigenen Volk gehörten.
Auch die Seefahrer und Entdecker des 15. und 16. Jahrhunderts stillten die Sensationslust der Daheimgebliebenen mit Schilderungen von gesetzlosen Kannibalen, die aus Rache und Hass die ihren verspeisen. Und schon in der Antike erklärte man etwa die Stoiker zur menschenessenden Gruppe, die - wie der griechische Schriftsteller Plutarch es beschrieb - nach dem Tod der Kinder, Freunde, Väter oder Frauen anordnen, diese zu verspeisen. Dass hinter diesen "Vermutungen" meist nur der Wunsch stand, die eigene Kultur aufzuwerten, erkannte bereits der französische Philosoph Michel de Montaigne, der die "widernatürlichen" Naturmenschen für genauso human oder inhuman hielt, wie seine europäischen Zeitgenossen. Der Kannibalismus, der fremden Kulturen unterstellt wurde, diente in der Heimat als Argument, diese Völker brutal zu unterwerfen und auszubeuten.