Gedanken für den Tag

von Mirja Kutzer, Germanistin und katholische Theologin. "Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn - wenn Fasten, dann Fasten" - Zum 500. Geburtstag der Teresa von Ávila. Gestaltung: Alexandra Mantler

Männlicher Auftrag - weiblicher Diskurs

Mit knapp 30 Jahren erlebt Teresa von Ávila vor einem Christusbild eine große innere und äußere Erschütterung. Um ihren Erfahrungen Ausdruck zu verleihen, beginnt sie zu schreiben. Zunächst verfasst die Spanierin ihre Vida, ihre Autobiographie. Weitere Werke folgen. Teresa schreibt ohne innezuhalten und mit gerötetem Gesicht. Spürbar ringt in ihren Texten die Leidenschaft der Mystikerin mit der Struktur eines Buches.

Für eine spanische Frau des 16. Jahrhunderts ist es keine Selbstverständlichkeit zu schreiben. Es wäre undenkbar gewesen, hätte Teresa keinen Auftrag von "außen" gehabt. Studierte katholische Männer, insbesondere ihr Beichtvater, ermutigen sie und begutachten auch das Ergebnis. Die vorrangigen Adressaten ihrer Texte aber sind Frauen. Teresa schreibt für ihre Mitschwestern im Orden. Im Vorwort zur "Inneren Burg" notiert sie, dass "Frauen die Sprache anderer Frauen besser verstehen". Die Liebe, die ihre Schwestern für sie hegen, werde ihnen zugänglich machen, was sie ihnen zu sagen hat.

Teresa weiß, dass der Text nicht mehr ihr gehört, sobald er geschrieben ist. In der Gemeinschaft der lesenden Frauen löst sich der Inhalt vom Buch. Weder die Autorin noch die männlichen Korrektoren können kontrollieren, wie er interpretiert wird. Aber noch mehr: Auch das, was Teresa sagen will, war nach ihrem Empfinden nie in ihrem Besitz. Der Sinn des Buches ist weder in ihren Gedanken, noch im Text enthalten, sondern entsteht im Diskurs - im Gespräch der lesenden Frauen, die einander zugetan sind.

Vonseiten postmoderner Philosophie wurde im 20. Jahrhundert provokant der "Tod des Autors" ausgerufen. Gemäß dieser These verfügt der Autor nicht souverän über seine Sprache, seinen Text, letztlich über sich selbst. Teresa von Ávila, die Nonne des 16. Jahrhunderts, wusste darum. Selbst den Tod des Autors zu sterben war für sie geradezu Voraussetzung, einen wahren Text zu schreiben.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Ludwig Senfl/um 1490 - 1543
Album: Deutsche Volkslieder aus dem 16.Jahrhundert
Titel: Tandernak - für Tenor Blockflöte, Fidel, Posaune, Dulzian und Gambe
Ausführende: Ricercare - Ensemble für alte Musik, Zürich
Leitung: Michel Piguet
Länge: 02:00 min
Label: EMI CDM 7634432

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