Gedanken für den Tag

von Paul Michael Zulehner, Spiritualitätsforscher und Theologe. "Sehnsucht ist der Anfang von allem". Gestaltung: Alexandra Mantler

Flüchten oder Ausbrechen

In unserer Lebenskultur stimmt etwas nicht. Das führt zu gegenläufigen Reaktionen. Die einen suchen das Weite, andere die Weite.

"Das Weite suchen" heißt Escape - Davonlaufen: Manche flüchten aus ihrem ereignisarmen Alltag in das schöne gespielte Leben einer Rosamunde Pilcher. Andere brechen auf in ein chemisch erzeugtes Paradies von Drogen und Alkohol. Wieder andere verlieren sich in den virtuellen Welten des Internets und des Facebooks. Junge Menschen, denen man ständig zuruft: Du hast keine Chance, also nütze sie, werden kriminell; sie schlagen auf eine Gesellschaft ein, die viel verspricht und wenig hält. Mit Mitleid belohnt wird die Flucht in psychosomatische Krankheiten: Burnout ist die häufigste Volkskrankheit geworden. Personen, die keine widerständige eigene Persönlichkeit ausbilden, suchen Zuflucht in sektoiden Gruppen mit festen Ordnungen und starken Führern. Manche, selbst Kinder, begehen Suizid. Der unvergessliche Psychotherapeut Erwin Ringel lehrte, dass der Selbsttötung ein "präsuizidales Syndrom" vorausgehe. Die Welt verenge sich. Das lateinische Wort für eng ist angustus. Angustia wiederum bedeutet Angst. Ist die Welt der neunzig Jahre für den Menschen und sein maßloses Sehnen zu eng? Erzeugt sie eine "Culture of fear", eine Angstkultur?

Wer nicht das Weite, sondern die Weite sucht, bricht aus der Enge der neunzig Jahre aus. Solche spirituellen Pilger revolutionieren ihr Leben. Sie stehen für die Wiederkehr jener Spiritualität, welche der Zukunftsforscher Matthias Horx einen Megatrend der späten Neunzigerjahre nannte. Spirituelle Pilger und Pilgerinnen sind in Berührung mit ihrer maßlosen Sehnsucht. Deshalb begehren sie auf gegen die Banalität und angstbesetzte Enge des Lebens als letzter Gelegenheit. Sie suchen Weite unter einem offenen Himmel.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach/1714 - 1788
Album: MUSIK IN EUROPÄISCHEN STÄDTEN UND RESIDENZEN / Folge 1 : POTSDAM - AM HOFE FRIEDRICH DES GROSSEN
* Poco andante - 2.Satz (00:07:44)
Titel: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo in d-moll Wq 23
Solist/Solistin: Werner Smigelski /Cembalo
Solist/Solistin: Heinz Friedrich Hartig /Cembalo ripieno
Orchester: Berliner Philharmoniker
Leitung: Hans von Benda
Länge: 02:00 min
Label: EMI CZS 2522382 / CDZ 2522392

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