Im Gespräch

In memoriam Günter Grass.
"Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt ..." Michael Kerbler im Gespräch mit Günter Grass, Schriftsteller (Erstsendung 3.9.2009)

"Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt; MEIN Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge." So beginnt einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Roman der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zuerst hieß das Buch "Oskar, der Trommler", dann "Der Trommler", doch schließlich nannte Günter Grass es "Die Blechtrommel". Er habe, erzählt Grass, drei Versionen des Romans im Heizungsofen seines Arbeitsraumes in der kleinen Pariser Wohnung nahe des Place Pigalle eingeäschert. Was so nicht stimmte. Denn 1973 fand der englische Germanist John Reddick die "Urtrommel" in einem Koffer ebendort im letzten Winkel einer Abstellkammer.

Die Figur des Oskar Matzerath hatte ganz langsam über die Jahre Konturen angenommen. Zuerst als zeichnerischer Entwurf, dann im Gedicht, letztlich im Roman. "An einem Nachmittag bei banaler Gelegenheit" - wie Grass einmal anmerkte - "sah ich zwischen Kaffee trinkenden Erwachsenen einen dreijährigen Jungen, dem eine Blechtrommel anhing. Mir fiel auf und blieb bewusst: die selbstvergessene Verlorenheit des Dreijährigen an seinem Instrument, auch wie er gleichzeitig die Erwachsenenwelt ignorierte." Im Herbst 1959 erschien das Buch - und löste - wie Hans Magnus Enzensberger damals prophezeite - "Schreie der Freude und der Empörung" aus.

Die einen rühmten das Buch als "Prototyp des neuen Romans" und stellten "Die Blechtrommel" auf dieselbe Stufe wie Goethes Wilhelm Meister. Die anderen sehen eine Verhöhnung des Menschen und "warnen in aller Form davor, dieses Machwerk zu empfehlen oder Menschen mit unverdorbenem Geschmack in die Hand zu geben." Von "Kirchenschändung", "Pornographie" und "Ferkelhaftigkeit" ist die Rede. Der Bremer Stadtrat verweigerte dem Autor die Überreichung des zuerkannten Literaturpreises der Stadt. Faktum ist, Grass war es mit seinem Debütroman eindrucksvoll gelungen, der vieldiskutierten These, der Roman sei tot, äußerst wirkungsvoll entgegenzutreten. Heute zählt der Roman unbestritten zu einem der wichtigsten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur.

Die Spannweite von 50 Jahren markiert aber nicht bloß ein Stück deutscher Literaturgeschichte, sondern auch ein halbes Jahrhundert, das sich in dreißig Jahren Deutschland West und Deutschland Ost sowie zwanzig Jahre vereinigtes Deutschland aufteilen lässt. Grass, der auf Grund seiner Danziger Wurzeln stets die Ostpolitik Willy Brandts als Verständigungspolitik unterstützt hat, trommelte in diesen fünfzig Jahren oft für die SPD. Und er beharrte darauf, dass der politisch engagierte Günter Grass den Schriftsteller Günter Grass niemals behindert habe.

Wie bewertet Günter Grass seine "Blechtrommel" heute, wie sein politisches Engagement? Und was hat das Land, in dem vor fünfzig Jahren Oskar Matzerath trommelnd erschien, mit dem Deutschland des Jahres 2009 gemeinsam?

Service

Buch-Tipps
Günter Grass, "Die Blechtrommel" - Jubiläumsausgabe zusammen mit dem Band "Trommelwirbel" - Stimmen zur Blechtrommel aus fünfzig Jahren - in einem Kartonschuber, Steidl Verlag, Göttingen

Günter Grass, "Als der Zug abfuhr - Rückblick auf die Wende", Steidl Verlag, Göttingen

Günter Grass, "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland", Steidl Verlag, Göttingen

Per Ohrgaard, "Günter Grass - ein Schriftsteller wird besichtigt", aus dem Dänischen von Christoph Bartmann, Biographie, Paul Zsolnay Verlag, Wien

Harro Zimmermann, "Günter Grass unter den Deutschen - Chronik eines Verhältnisses", Biographie, Steidl Verlag Göttingen

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