Zwischenruf

von Prof. Susanne Heine (Wien)

Was die Schöpfung erzählt

"Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben", so beginnt ein fröhliches Lied von Paul Gerhard. "Der Himmel erzählt die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkündet das Werk seiner Hände", heißt es in Psalm 19. Freilich habe ich auch gleich die Einwände im Ohr: Und die Naturkatastrophen? Erdbeben, Tsunamis, Überschwemmungen? Das soll die gute Schöpfung Gottes sein?

Ich versuche das mit Psalm 19 zu sehen. Wenn Gott alles geschaffen und ins Leben gerufen hat, die ganze Erde, dann ist auch die Natur ein lebendiges Wesen. Dann hat auch die Erde eine Geschichte, und Erdgeschichte ist auch ein Thema der Naturwissenschaft. Dann kennt auch die Natur Zeiten der Krise - wie wir. Wer in eine Krise gerät, braucht Anteilnahme und Hilfe. Warum sollte das für die Natur als einem lebendigen Wesen nicht ebenfalls zutreffen?

Die Bibel liegt nicht so falsch, wenn sie die Natur als einen großen Kommunikationsraum sieht, in dem alles Geschaffene miteinander spricht, mit Worten, aber auch durch Zeichen. Martin Luther nennt Sonne und Mond, jeden Fisch und jeden Vogel, Petrus und Paulus, mich und dich Worte der göttlichen Grammatik und betont damit, dass alles miteinander in Beziehung steht, füreinander da und aufeinander angewiesen ist. (Martin Luther, Genesisvorlesung, 1535/38, WA 42.)

Mitten drin der Mensch, "wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Hoheit gekrönt", heißt es in Psalm 8, der Gott anspricht: "Du hast den Menschen zum Herrscher gesetzt über die Werke deiner Hände, alles hast du ihm unter die Füße gelegt." Auch hier höre ich sofort die Einwände: Der Mensch herrscht über die Natur und ruiniert sie, seit es ihn gibt, gierig nach Profit, beutet er sie aus bis zur Vernichtung; schuld daran sei die Religion.

Worte sind mehrdeutig, und es kommt darauf an, was wir verstehen wollen. Das hebräische Wort für "herrschen" kann nämlich auch bedeuten, für etwas zu stehen, die Macht haben, etwas zu tun. Und der Mensch hat diese Möglichkeit, das ist eine Tatsache. Deshalb nannte der Philosoph Immanuel Kant den Menschen einen Bürger zweier Welten, einer natürlichen und einer geistigen. Der Mensch ist der Natur unterworfen, aber nicht nur, weil zur Natur unserer Spezies auch der Geist gehört, der es möglich macht, ein Leben aus vernünftiger Überlegung zu gestalten. Das klingt einfach, ist es aber nicht, weshalb moralische Appelle an die Verantwortung für die Schöpfung oft ungehört bleiben.

Denn neben den Fähigkeiten stehen die menschlichen Schwächen und Leidenschaften, und das hebräische Wort für "herrschen" kann auch bedeuten, die Strebungen im Griff zu haben, die geneigt sind, nur das eigene Wohlergehen zu suchen. Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, hat es auf den Punkt gebracht, wenn er sagt: "Die menschliche Kultur ruht auf zwei Stützen, die eine ist die Beherrschung der Naturkräfte, die andere die Beherrschung unserer Triebe." (Sigmund Freud, Die Widerstände gegen die Psychoanalyse, 1925. ) Zu den Trieben zählt auch die Gier. Wenn daher unter herrschen ausbeuten verstanden wird, braucht heute auch die Natur Schutz und Hilfe.

Wieder ein moralischer Apell? Damit es nicht dabei bleibt, sind Gesetze notwendig und eine Rechtsordnung. Daher preist Psalm 19 nicht nur die Schöpfung, sondern auch das Gesetz: Die Weisung des Herrn ist vollkommen, macht weise und gibt neues Leben. Die Gesetze des Herrn sind wahr und gerecht. Die biblische Rechtsentwicklung steht im Zeichen des Schutzes der Erde und aller ihrer Bewohner. Dazu gehört das Gebot, Fremde und Zuwanderer wie Einheimische zu behandeln und zu "lieben wie dich selbst" (Lev 19,34), und der barmherzige Samariter, der einen Fernstehenden zu seinem Nächsten macht (Lk 10). Familiäre, ethnische oder nationale Bindungen stehen zurück, damit alle zu ihrem Recht kommen.

Das sind jahrhundertealte Rechtsordnungen und ihre Prinzipien aktueller denn je. Sie würden es vertragen, in gegenwärtige Rechtsordnungen aufgenommen zu werden.

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