Leporello

Sommerreprisen: Nicolas Mahlers "Dachbodenfunde"

"Ich war im Dorotheum und sah in der Auslage einen alten Teddy, der beschildert war mit: ,leichter Mohairverlust, abgeliebt' .- Mir gefällt das, das ist eine interessante Wortfindung, die man sonst kaum hört."

"Abgeliebt" - welcher Dichter könnte ein solches Wort erfinden.
Der Zeichner Nicolas Mahler fand es in einem Spielzeugauktionskatalog und hatte eine Idee: er besorgte sich Massen dieser Broschüren, in denen ausrangierte Teddybären, gealterte Barbie-Puppen oder verlassene Stoffhündchen zur Versteigerung angeboten und zu diesem Zweck mit dürren Worten beschrieben werden. Die in diesen Katalogtexten gefundenen, oft auf eine eigenartige Weise poetisch klingenden Wortschöpfungen montierte Mahler zu Gedichten der besonderen Art: "Dachbodenfunde" heißt das so entstandene, bei Luftschacht verlegte Bändchen.

Durch die Montage der Wörter ergeben sich ganz neue Zusammenhänge. "Abgeliebt" etwa verweist darauf, dass das Spielzeug, der Teddy, das Püppchen von seinem Besitzer sehr geliebt worden ist, - andererseits, so Mahler, erweckt dieses Wort beim Lesen vielleicht auch Erinnerungen an missglückte Liebesbeziehungen. Die gefundenen Wörter sind, was sie sind - und gleichzeitig sind sie noch etwas anderes. Diese Mehrdeutigkeit, und manchmal auch die Widersprüchlichkeit von Wörtern interessiert den Künstler.

Der 1969 geborene Nicolas Mahler erfüllt keinerlei Erwartungen; die gängige Vorstellung von einer heimeligen Kinderstubenatmosphäre zerstört er, indem er auf die Vergänglichkeit des Spiels aufmerksam macht und die Blessuren und Deformationen der zur Versteigerung bestimmten Figuren zeigt - wie auch im titelgebenden Achtzeiler:

"bär mit matrosenanzug": "45 cm // gelb / buckel // fehler / an den fußsohlen // ein wenig / eingestaubt // dachbodenfund".


Auf den ersten Seiten des Dachbodenfund-Bändchens montiert Nicolas Mahler die Auktionskatalog-Wörter noch eins zu eins zusammen; je weiter man nach hinten blättert, desto mehr dichtet Mahler selbst dazu. "Unschön geklebte Augen liegen lose bei" heißt es einmal kühl; bei einem Eselchen ist die Mähne ausgegangen, zudem besteht "Füllverlust"; alles Wörter, die Nicolas Mahler faszinieren; das Träumerchen wiederum könnte ein psychologisches Selbstbild des Künstlers sein.

Nicolas Mahler erfüllt übrigens auch jene Erwartungen nicht, die man allgemein von einem Comiczeichner hat. So veröffentlichte er bei Suhrkamp u.a. grafische Literaturadaptionen von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" und von Thomas Bernhards "Alte Meister", in denen er auch gleich die Kunstform des Comic reflektierte. Und im Herbst erscheint ,ebenfalls bei Suhrkamp, "Die Geschichte der Philosophie in einem Band" - als 190 Seiten lange Graphic Novel. Nicolas Mahler selbst bleibt jedoch ein Meister der kurzen Form. In seinen extrem reduzierten Zeichnungen, die sich hier und da zwischen den Versen in den Dachbodenfunden zeigen, kann sich die Fantasie der Lesenden ausbreiten.

Nicolas Mahler wurde als Künstler lange nicht anerkannt, in den neunziger Jahren stieß er mit seinem Comics noch auf elitär-borniertes Unverständnis. Mit Überraschungen aber ist bei ihm immer zu rechnen, das gilt auch für seinen Werdegang zu einem der renommiertesten Comiczeichner und graphic novel-Dichter deutscher Sprache. Ob High Art oder Subkultur ist ihm egal, das heißt: am liebsten hält er sich genau dazwischen auf. (Whg.) - Gestaltung: Christa Eder

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