Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Schattenland, Ströme" - Zum 50. Todestag des Schriftstellers Johannes Bobrowski. Gestaltung: Alexandra Mantler

Was mich am deutschen Schriftstellers Johannes Bobrowski besonders fasziniert: Seine Gedichte wie seine Prosa erkennt man an ihrem Ton und an ihrem Satzbau. Als er einmal um Auskunft über sein Schreiben gebeten wurde, hat er auch sein Thema genannt: "Zu schreiben habe ich begonnen am Ilmensee 1941, über russische Landschaft, aber als Fremder, als Deutscher. Daraus ist ein Thema geworden, ungefähr: die Deutschen und der europäische Osten. Weil ich um die Memel herum aufgewachsen bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinander lebten, unter ihnen allen die Judenheit."

Diese "Judenheit" hat Johannes Bobrowski immer beschäftigt. "Jeder Jude ist mir das unbegreifliche Wunder, ohne das ich nicht leben kann", schrieb er in einem Brief. Daraus sprechen Kindheitserfahrungen, aber auch die Vertrautheit mit jüdischer Erzähltradition - den russisch-jüdischen Autor Isaac Babel schätzte Bobrowski ganz besonders.

Johannes Bobrowski war aber auch gerade als Christ überzeugt, auf die jüdische Religion und die hebräische Bibel angewiesen zu sein. Dass sich die sogenannten "Deutschen Christen" im Nationalsozialismus vom Alten Testament lossagen wollten, konnte der aus der Bekennenden Kirche kommende Bobrowski nicht mitmachen.

Die Morde der Nationalsozialisten an den Juden ziehen ihre Spur durch Bobrowskis ganzes Werk. Das Gedicht "Kaunas 1941" gedenkt der Juden im Ghetto von Kaunas, die Erzählung "Mäusefest" zeigt einen kleinen jüdischen Händler in Polen beim Einmarsch Nazi-Deutschlands. Auch die Auseinandersetzung mit Geschichte gehörte für Bobrowski zu den dringenden Aufgaben eines Deutschen und eines Christen. Als solcher deklarierte er sich öffentlich, aber mit einer Selbstverständlichkeit, ohne jede Proklamation.

Dieses diskrete und selbstkritische Christentum mag ich am Werk wie am Menschen Johannes Bobrowski. Und dass er in der Aufklärung ebenso verwurzelt ist wie er tief eingetaucht ist in die heidnische litauische Mythologie. Das alles hat er nicht zu einem gefälligen Brei verrührt. Bobrowski weiß um die gefährlichen Einseitigkeiten jeder Tradition und zeigt sie in seinem poetischen Werk.

Service

Buch, Johannes Bobrowski, "Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater", Roman, Verlag Klaus Wagenbach
Buch, Johannes Bobrowski, "Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse", Deutsche Verlagsanstalt
Buch, Johannes Bobrowski, "Litauische Claviere", Roman, Reclam Verlag 2009
Buch, Christoph Meckel, "Erinnerung an Johannes Bobrowski", Carl Hanser Verlag

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach/1714 - 1788
Gesamttitel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen - 18 Probestücke in 6 Sonaten Wq 63/H 70-75
* Poco allegro ma cantabile in A-Dur - 1.Satz (00:03:49)
Titel: Sonate Nr.3 für Clavichord
Solist/Solistin: Armin Thalheim /Clavichord
Länge: 02:16 min
Label: Capriccio 10107

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