Gedanken für den Tag

12. März 2016, 06:56

Seine drei letzten Filme hat Krzysztof Kieslowski der französischen Fahne gewidmet, den drei Farben blau, weiß und rot - und der Parole der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Aber auf revolutionäres Pathos muss man in seinen Filmen verzichten. Menschen stehen im Mittelpunkt, ihre Suche, ihr Dilemma, ihre Fragen, ihre Entscheidungen. Kieslowski nimmt sich Zeit für Beobachtungen. Mehr als einmal schaut er lange einer gebeugten alten Frau zu, die mit Mühe eine Flasche in den Glascontainer wirft.

In "Drei Farben - blau", dem Film zum Thema Freiheit, kommt ein Familienvater bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Tote ist nicht irgendjemand, sondern ein gefeierter Komponist. Er hat an einem Konzert gearbeitet, das in allen Hauptstädten der Europäischen Union gleichzeitig aufgeführt werden sollte. Ein Konzert für die Einheit Europas. Doch jetzt ist der Komponist tot, die Musik unvollendet. Welch bedrängende Aktualität aus heutiger Sicht.

Auch die kleine Tochter hat nicht überlebt. Nur Julie, ihre Mutter, wacht im Krankenhaus auf. Was sie jetzt erlebt, ist ein schreckliches Befreit-Sein von allem. Und doch auch eine Chance: Sie ist allein, hat Geld und keine Verpflichtungen. Sie kann tun und lassen, was sie will. Nur: Sie will nichts mehr. Ist das Freiheit?

Sie zieht sich von allem zurück. Doch von ihrer Trauer, ihrer Vergangenheit, ihrer Erinnerung kann sie sich nicht befreien. Das Leben kehrt zurück, und mit ihm die Verantwortung. Auch Julie ist Komponistin. Sie weiß, dass sie es ist, die das Konzert zu Ende schreiben muss. Sie macht sich an die Arbeit. Gleich zu Beginn ersetzt sie Trompeten durch Flöten - keine Fanfaren, zart soll sie klingen, die europäische Melodie. Julie ist in ihrem Element. Zurückgekehrt in eine Freiheit, die nicht lähmt, sondern handelt.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler