Gedanken für den Tag

von Mirja Kutzer, katholische Theologin und Germanistin. "Im Blick der Kamera" - Zum 90. Geburtstag von Marilyn Monroe. Gestaltung: Alexandra Mantler

Ihre Kindheit, so sagt Marilyn Monroe später in ihrem Leben, war ein einziger Kampf ums Überleben. Ihre Mutter leidet unter Depressionen und, wie es heißt, schizophrene Anfällen. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr lebt Norma Jeane in wechselnden Pflegefamilien und immer wieder in Heimen.

Über die Einflüsse der Krankheit der Mutter auf sie wurde häufig spekuliert. Kinder depressiver Eltern haben ein höheres Risiko selbst an Depressionen zu erkranken. Möglicherweise nehmen sie auch ein geringeres Selbstwertgefühl mit ins Leben. Marilyns Quasi-Liebesverhältnis zur Kamera, ihre wechselnden Beziehungen zu Männern und auch ihre Sehnsucht nach einem eigenen Kind - dies alles seien Zeichen gewesen, dass die Monroe "gesehen" werden wollte - so wie ein Kind von den Eltern gesehen werden will, weil es nur so ein Verhältnis zu sich selbst entwickeln kann.

Die Philosophin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva hat die Depression und ihre Schwester, die Melancholie, als typisch zeitgenössische Krankheiten beschrieben. Nicht, dass es sie nicht auch schon früher gegeben hätte. Doch sind die Umstände heute speziell. Kristeva beschreibt die Depression als einen Verlust an Sinn - der Sprache, der Welt, des eigenen Lebens. Anders als in früheren Zeiten fehlen Garanten, die die Wirklichkeit mit Wert und Bedeutung ausstatten - allen voran die Religion.

In diesem Sinnverlust ist der Depressive, so beschreibt es Kristeva, ein Atheist. Gleichzeitig ist er ein Mystiker. Er ist fixiert auf etwas, das im Inneren erfahrbar ist. Wie die Gotteserfahrung des Mystikers, der Mystikerin, ist die untröstliche Traurigkeit das einzige, das eine Form von Halt verspricht. Aber dieser Halt kann nicht fixiert, nicht in Sprache eingeholt werden. Wie in kaum einem anderen Zeitalter zuvor sind wir uns der Fragilität unserer Psyche bewusst. Wir versuchen ihr zu entkommen, indem wir die Seele töten - durch Medienkonsum etwa, oder durch Medikamente wie Marilyn. Doch nur wer ein psychisches Leben hat, so formuliert es Kristeva, lebt.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Irving Berlin/1888 - 1989
Album: GOLDEN EVERGREENS 10
Titel: After you get what you want, you don't want it / aus dem Film "There's no business like Show Business" / "Rhythmus im Blut"
Solist/Solistin: Marilyn Monroe /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Bella Musica 314086

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