Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

Fast ein Jahr ist es her, dass tausende Menschen vor unseren Grenzen standen. Die Politik war darauf nicht vorbereitet. Die Reaktionen waren gemischt: Schockstarre, Angst und Abwehr, aber auch eine überwältigende Willkommenskultur. Tausende Freiwillige organisierten sich. Auch in den Medien gab es beides: Chaotische und anarchische Verhältnisse wurden an die Wand gemalt. Es gab aber auch Reportagen über Prominente und einfache Bürgerinnen und Bürger, die ihre Türen öffneten, Flüchtlinge bei sich beherbergten oder ihnen auf andere Art und Weise halfen.

Spätestens seit der Silvesternacht in Köln, als Übergriffe auf Frauen bekannt wurden, kippte die Stimmung in der veröffentlichten Meinung. Die Ehrenamtlichen waren weiterhin unbeirrt tätig, und viele sind es bis heute. Davon wird aber kaum mehr berichtet.

Und auch die Regierungspolitik verlegte ihre Priorität von Integrationsbemühung auf das Feld des Populismus. Da werden Debatten um Ein-Euro-Jobs und Burkaverbot vom Zaun gebrochen, wobei gar keine ernsthafte Diskussion stattfindet. Der Subtext zu beiden Vorschlägen lautet eher:

"Eigentlich wollen wir euch hier nicht haben, aber wenn ihr schon da seid, und wenn wir euch durchfüttern müssen, dann sollt ihr gefälligst auch etwas für die Allgemeinheit tun." Und: "Wir sind hier in Österreich, in einem freien und demokratischen Land. Da dulden wir keine Einschränkungen. Da machen wir die Vorschriften. Da gelten unsere Spielregeln und unsere Werte, daher Marsch in die Wertekurse, damit ihr eure steinzeitliche Mentalität ablegt und lernt, euch zivilisiert zu benehmen"

Der Applaus von den Stammtischen ist garantiert. Und einige Medien leisten bereitwillig Schützenhilfe. Die Notwendigkeit eines Burkaverbots wird durch geschmacklose Aktionen illustriert, in dem man ein Top Model, das sonst davon lebt, möglichst spärlich bekleidet vor der Kamera zu posieren, nun in Vollverschleierung durch eine Stadt spazieren lässt. Genüsslich wird von den aggressiven und hasserfüllten Reaktionen aus der Bevölkerung berichtet.

Da ist wenig Platz für sachliche Auseinandersetzungen über Themen, wie die Sinnhaftigkeit von fast unentgeltlicher allgemeinnütziger Arbeit oder Gesichtsverhüllung. Die Vorschläge sind geprägt von einer Attitüde des Misstrauens und des Verdachts.

Mit solchen Androhungen werden sich die betroffenen Menschen nicht heimischer fühlen, selbst wenn sie Österreich als ihre Heimat betrachten. Damit wird kaum Integration erreicht werden. Im Gegenteil, die Reaktion wird Rückzug oder Aggression sein. Genau das, was doch die Politik vermeiden möchte. Auffällig, dass hier immer mit Verboten gearbeitet wird: Verbot, die eigene Sprache in der Schule zu sprechen, Verbot, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen.

In der Bibel ist die Rede von Geboten und nicht Verboten. Gott gebietet seinem Volk etwas, damit es ein gutes Leben hat und nicht, um es zu bestrafen. Christinnen und Christen leben von ihrem Auftrag her immer an Grenzen, sind nirgends ganz zu Hause und können sich in Fremde besser hineinfühlen, weil sie von ihrem Selbstverständnis her Fremde in dieser Welt sind. Christen überwinden Grenzen und ziehen keine Gräben zwischen "wir - wer immer das ist - und den anderen", die irgendwie nicht zu uns gehören. Wir sind alle Gottes Kinder, auch wenn wir nicht jeden Zeitgenossen sympathisch finden. Widersprüchlich ist eine Politik, die sich Freiheit auf die Fahnen heftet und gleichzeitig mit Verboten und Zwängen droht, wie es eben gerade passt.

Christen sind nicht naiv und blauäugig. Sie sehen die Menschen und ihre Probleme und Ängste. Aber sie begegnen den Menschen anders, wohlwollend und freundlich. So wie Gott auf dem Berg Sinai seinem Volk Gebote geschenkt hat, so sollen Menschen in einer Gesellschaft Regeln akzeptieren, die aber immer wieder überdacht werden können. Regeln, Gesetze, Ordnungen sollen den Menschen dienen und das Leben erleichtern. Dazu gehört auch, dass alle Menschen ihre Identität leben können und sich entfalten dürfen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Sprache und ihrer sexuellen Orientierung. Mit Betonung auf ALLE.

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