Radiogeschichten
"Familienfotos". Von Molly McCloskey. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Es liest Franziska Hackl. Gestaltung: Stefanie Zussner. Bearbeitung: Julia Zarbach
7. September 2016, 11:40
Die Mutter spricht es nie aus, aber ihre penibel geordneten und beschrifteten Familienfotos sollen ihre Kinder auch am Vergessen hindern. Beim Betrachten dieser Ringordner mit Kindheitsfotos denkt die Erzählerin an ihren älteren Bruder Dickey. Sie war zu jung, kann sich an wenig erinnern. Irgendetwas lief plötzlich schief im Leben des gutaussehenden und erfolgreichen College-Absolventen. Ohne die Kindheitsfotos würde man glauben, Dickey sei nie glücklich, wäre schon immer verrückt gewesen. Nach anfänglichem Verleugnen des Bruders und seiner Krankheit beginnt die Schwester Dickey in seinem Rehabilitationszentrum zu besuchen, verbringt Zeit mit ihm.
1964 in Philadelphia geboren und in Oregon aufgewachsen, zog die amerikanische Autorin Molly McCloskey 1989 nach Irland, wo sie auch heute noch lebt. Am University College Dublin machte McCloskey den Abschluss als Master of Philosophy, sie schreibt regelmäßig für "The Irish Times" und "The Dublin Review". In deutscher Übersetzung liegen neben den Romanen "Schöne Veränderungen" und "Wie wir leben" seit 2011 auch Erzählungen vor. Der Erzählband "Liebe" enthält Erzählungen aus den beiden bisher veröffentlichten Erzählbänden "Solomon's Seal" und "The Beautiful Changes". Molly McCloskey beschreibt darin die "kleinen und großen Dramen des ganz gewöhnlichen Lebens" und zeigt Menschen, deren Sehnsucht nach Nähe nicht erfüllt wird, aber auch Menschen, die die Einsamkeit suchen. Wegen der beeindruckenden psychologischen Genauigkeit ihrer Geschichten wird Molly McCloskey mit der kanadischen Autorin Alice Munro verglichen.
Service
Aus: Molly McCloskey, "Liebe", Erzählungen, aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser, Steidl Verlag 2011