Bosnische Muslime, dahinter Fotowand

AP/AMEL EMRIC

Radiokolleg - Versöhnung nach dem Bruch

Der Balkan - 25 Jahre nach Kriegsbeginn (4).
Gestaltung: Tanja Malle

Der sicherste Gerichtssaal von Bosnien und Herzegowina hat kein Fenster, er liegt unter der Erde. So, wie die Überreste jener 140.000 Toten, die in den jugoslawischen Zerfallskriegen umgekommen sind. Noch immer sind nicht alle Vermissten gefunden, nach wie vor nicht sämtliche Leichen, die in Massengräbern verscharrt worden sind, identifiziert.

Täter vor Gericht

Die Täter von einst müssen sich mittlerweile nicht mehr vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag verantworten, sondern immer öfter vor regionalen Gerichten, darunter vor dem Sud Bosne i Hercegowine, dem Gericht Bosnien und Herzegowinas in Sarajevo. Hier liegt der Hochsicherheitsgerichtssaal, der Platz für ein Dutzend Angeklagte und deren Anwälte bietet.

An diesem Tag Ende September stehen zwölf Männer, bosnische Muslime, vor Gericht. Ihnen werden Freiheitsberaubung und Folter im Sommer des Jahres 1992 vorgeworfen. Sie sollen die serbische Bevölkerung der Gemeinde Kladanj drangsaliert und später in einer Schule interniert haben. Als der Krieg in Bosnien-Herzegowina begann, standen die Schulen des Landes leer. Es war der Sommer 1992, es waren Schulferien. Die Schulgebäude wurden für die Dauer von mehr als drei Jahren zu Internierungslagern, wo Zivilist/innen systematisch missbraucht, gefoltert und vergewaltigt worden sind. Ihr einziger Fehler: Ihre ethnische Zugehörigkeit. Das Urteil gegen die zwölf Angeklagten steht noch aus. Journalisten sind an dem Tag, an dem die Anklage ihr Schlussplädoyer verliest, nicht gekommen. Der Fall ist nicht sonderlich prominent eingestuft, derlei Verbrechen gab es während der jugoslawischen Zerfallskriege zuhauf.

Keine Konsequenzen für Vergewaltiger

Nur zögerlich übernehmen die Gerichte in Bosnien, Kroatien, Serbien und dem Kosovo die Ahndung von Kriegsverbrechen zwischen 1991, als der Zehntagekrieg in Slowenien begann und 1999, als der Kosovokrieg - und damit die jugoslawischen Zerfallskriege - endeten. Serbien hat drei Jahren keine einzige Anklage wegen Kriegsverbrechen, die von Serben im Kosovo begangenen worden sind, erhoben. Die Stelle des Staatsanwaltes, der für die Ahndung von Kriegsverbrechern zuständig ist, ist seit bald zehn Monaten unbesetzt. Die Muslime, also Bosniaken und Kosovo-Albaner, haben in den jugoslawischen Zerfallskriegen die mit Abstand meisten Opfer zu beklagen. Der Großteil der Kriegsverbrecher musste sich bis heute nicht vor Gericht verantworten.

Darunter auch nicht jene geschätzten 29.500 Männer, die in Bosnien internierte Frauen und Männer systematisch vergewaltigten. Dass systematische Vergewaltigung heute als Kriegsverbrechen gilt, das wurde vom ICTY juristisch durchgesetzt. Dessen Sprecher kritisiert jüngst, dass allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens der politische Wille fehle, Kriegsverbrecher aus den eigenen Reihen zur Verantwortung zu ziehen. Die Europäische Union, allen voran Johannes Hahn, EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, übt dahingehend keinen Druck aus. Im Fortschrittsbericht über Serbien wird lediglich Jahr für Jahr darauf verwiesen, dass Serbien mehr tun sollte.

Kriegsverbrecher wird Bürgermeister

Das ICTY will seine Arbeit demnächst abschließen. Die Verfolgung und Ahndung von Kriegsverbrechen wird dann allein den regionalen Gerichten am Balkan obliegen. Der Großteil der Verbrechen ist noch ungesühnt, und das, während die Zeuginnen und Zeugen älter werden und deren Erinnerungen schwächer. Zum Zeitpunkt seiner Gründung, im Jahr 1993, hat das ICTY noch die Versöhnung zwischen den Ethnien als Ziel formuliert. Doch rückblickend steht fest: Zum Frieden stiften gehört mehr, als ein Gerichtshof und die Verurteilung der Täter. Auch wenn diese ein fixer Bestandteil der so genannten Transitional Justice ist. Die wörtliche Übersetzung lautet: Übergangsgerechtigkeit. Gemeint sind damit Mechanismen, die die friedliche Transformation von Gesellschaften in Nachkriegssituationen fördern. Dazu zählen nicht allein Kriegsverbrecherprozesse und Erinnerungsarbeit, sondern auch zahlreiche andere Schritte. Unter anderem finanzielle Entschädigungen und die psychologische Betreuung von Opfern von Gewalt. Wie auch, dass all jene Personen aus öffentlichen Ämtern entfernt werden, deren Kriegsvergangenheit nicht unbelastet ist.

Davon ist Bosnien-Herzegowina weit entfernt. Bei den Regionalwahlen Anfang Oktober wurde ein rechtskräftig verurteilter Kriegsverbrecher zum Bürgermeister der Stadt Velika Kladusa im Nordwesten des Landes gewählt und der ebenfalls neu ins Amt gewählte - serbische Bürgermeister von Srebrenica, von serbische Truppen 1995 8.000 Muslime erschossen haben - leugnet überhaupt den Genozid an der muslimischen Bevölkerung. Keine guten Aussichten also, was Versöhnung betrifft.

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