APA/HARALD SCHNEIDER
Radiokolleg - Working Poor
Wenn Arbeit nicht vor Armut schützt
(1). Gestaltung: Juliane Nagiller
6. März 2017, 09:05
Trotz Einkommen, kein Auskommen - das trifft laut Statistik Austria auf fast 300.000 Menschen in Österreich zu. Trotz Arbeit verdienen sie weniger als 1.163 Euro monatlich. Sie arbeiten als Leiharbeiter/innen, neue Selbstständige oder Werkvertragsnehmer/innen oder sind in Branchen tätig, die laut Kollektivvertrag schlecht bezahlt werden - wie etwa in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor. Der österreichische Arbeitsmarkt wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten liberalisiert und dereguliert. Die Wirtschaft brauche flexible Arbeitskräfte, so lautet das Argument. Infolge hat die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse zugenommen. Immer mehr Menschen sind in befristeten Arbeitsverhältnissen oder arbeiten auf Werkvertragsbasis. Oft sind sie nicht durchversichert und daher auch von Altersarmut bedroht. Hinzu kommt, dass mehr als eine Million Arbeitnehmer/innen mittlerweile Teilzeit arbeiten. Im vergangenen Jahr arbeiteten 52% der Frauen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, aber nur 16% der Männer.
Soziale Unsicherheit kehrt von den Rändern der Gesellschaft ins Zentrum zurück. Sie betrifft mittlerweile auch erwerbstätige Menschen und immer mehr Menschen aus der Mittelschicht. Ein abgeschlossenes Universitätsstudium ist kein Garant mehr für einen guten Lohn. Befristete Arbeitsverhältnisse, Praktika oder quasi-selbstständige Projektarbeit bestimmen oftmals nicht mehr nur den Beginn der beruflichen Karriere, sondern prägen das Erwerbsleben über einen längeren Zeitraum hinweg.
Doch auch Vollzeitbeschäftigte verdienen manchmal zu wenig, um davon gut leben zu können. In 22 EU-Ländern gibt es einen Mindestlohn. In Österreich sind die Kollektivverträge so etwas wie ein de-facto Mindestlohn. Die Gewerkschaft fordert in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm, dass Vollzeitbeschäftigte mindestens 1.500 Euro brutto verdienen sollen. Doch davon sind noch viele Beschäftigte weit entfernt. Zeitungszusteller verdienen laut Kollektivvertrag nicht einmal 900 Euro pro Monat. Gerade im Niedriglohnsektor wird auf Arbeitnehmer/innen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten zurückgegriffen. Menschen aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn oder der Slowakei arbeiten in Österreich auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder der Pflege. Oft wissen sie zu wenig über ihre Rechte und sind von Ausbeutung betroffen.
Wird der Arbeitsmarkt immer mehr zu einem Ort der sozialen Ungleichheit? Welche Folgen hätte die Einführung eines Mindestlohns in Österreich? Was kann man gegen Sozialdumping unternehmen? Und wie gehen Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen mit der finanziellen Ungewissheit um?
Service
Nikolaus Dimmel, Martin Schenk u.a. (Hrsg.): Handbuch Armut in Österreich, Studien Verlag, 2014
Robert Castel, Klaus Dörre (Hrsg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Campus Verlag 2009
Pierre Bourdieu: Das Elend der Welt, UTB Verlag 2009
Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne, Suhrkamp Verlag 2016
Bernhard Müller: Erosion der gesellschaftlichen Mitte. Mythen über die Mittelschicht, Zerklüftung der Lohnarbeit, Prekarisierung & Armut, VSA Verlag 2013
Thomas Piketty: Ökonomie der Ungleichheit. Eine Einführung, Verlag C.H. Beck 2016
Valentin Dander, Franco Rau, u.a.: Prekär, aber glücklich? Wissenschaftlicher "Nachwuchs" in der Medienpädagogik, Medienpädagogik - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 2016
Sezionieri-Kampagne der Produktionsgewerkschaft PROGE
UNDOK Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender
Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft
Household Finance and Consumption Survey
Sozialbericht: Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015-2016
Artikel Prekär, aber glücklich? Wissenschaftlicher "Nachwuchs" in der Medienpädagogik
Michael Burawoy war im Rahmen der Konferenz "A Great Transformation? Global Perspectives on Contemporary Capitalism" der Johannes Kepler Universität Linz zu Besuch in Österreich