Herrnunterwäsche

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Moment am Sonntag

Zwischen Weißware und Dessous. Die Unterwäsche

Geheimnis und Transparenz in den unteren textilen Schichten

"Die Industrie lässt uns einfach links liegen. Wer nicht den Normbusen hat - Körbchen-Größe 75 B - hat Pech gehabt", sagt Barbara Boll, nach Eigendefinition selbst "gut bestückt". Die Dessous-Designerin sitzt in ihrem Atelier für Maß-Unterwäsche im Wiener Museumsquartier. Zweimal pro Monat gibt sie interessierten Hobby-Schneiderinnen Nachhilfe in Sachen Maß-Wäsche. Ihre Kundschaft sind vor allem Frauen - jene, die sich von den Dessous-Herstellern übergangen fühlen, weil sie nicht den Normmaßen entsprechen.

Boll, eine promovierte Musikwissenschafterin, kam zufällig ins Metier. Als von einem Tag auf den anderen ihr gut sitzendes Lieblings-BH nicht mehr produziert wurde, begann sie, selbst zu experimentieren. Sie zerlegte ihre alten Büstenhalter, ging zwei Jahre auf eine Dessous-Akademie in der Nähe von Mainz und schneiderte sich von da an ihre Unterwäsche selbst. Neben ihrem Job als Musiklehrerin bietet sie jetzt auch ihre eigenen Kreationen an. Maßgeschneiderte Einzelstücke statt der Konfektions-Massenware, die ihren Preis haben: ein BH aus der Werkstatt Boll kostet ab 420 Euro. Viel Geld für ein Wäschestück, das Feministinnen in den 1970er Jahren öffentlich verbrannten. Der BH war zum verfemten Symbol der gesellschaftlichen Zwänge und der patriarchalen Unterdrückung geworden. Nur zwei Generationen, nachdem der Büstenhalter seinerseits als Befreiung vom Korsett gefeiert wurde.

Im Jahr 1914 ließ die US-Amerikanerin Mary Phelps Jacob den ersten BH patentieren - genäht aus zwei Seidentüchern und rosafarbenen Bändern. Der Büstenhalter wurde als riesiger Fortschritt gefeiert, denn jahrhundertelang waren Frauen der Gesellschaft eingeschränkt durch enge Mieder und Korsagen. Eine bürgerliche Dame um 1900 trug mehrere Kilogramm an Dessous mit sich: Hüftgürtel, Reifröcke und Korsett dämpften jeden Bewegungsdrang. Dazu kamen extreme Schnürpraktiken, die zu Atemnot, Rückenschmerzen und Quetschungen der Organe führen konnten. Was unter der Kleidung getragen wurde, spiegelte immer auch gesellschaftliche Machtverhältnisse wider. Unterhosen gehörten übrigens bis zum Viktorianischen Zeitalter nicht zum Repertoire der gängigen Damen-Dessous. Auch Männer gingen lange unten ohne.

Aus dem Mittelalter ist die Brouch überliefert, eine weite Kurzhose aus Leinen oder Wolle - nicht unähnlich den heutigen Boxershorts -, die im 15. Jahrhundert von einer Art Strumpfhose mit Schamkapsel abgelöst wurde. Die Unterhose in ihrer heutigen Form ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sie war lang, manchmal sogar mit dem Oberteil verbunden. Gefertigt aus Baumwolle, die mit der industriellen Verarbeitung zum preiswerten Massengut wurde. Barbara Boll schneidert in ihrem Wiener Atelier auch Männer-Unterhosen. "Eine deutsche Kollegin von mir hat große Erfolge gefeiert mit Spitzen-Boxershorts, die in der schwulen Community durchaus bemerkt wurden", erzählt die Dessous-Designerin. Auch ihre männliche Kundschaft legt großen Wert auf die Optik. Allerdings geht es ihnen weniger um feine Spitzen als darum, einen gewissen Körperteil mit Pölsterchen zu heben: Push-ups sozusagen für den Inhalt der Hose!

Gestaltung: Bea Sommersguter und Shenja Mannstein

Service

Korsagenmacherin Konstanze Schromm
Eduard Klein Gasse 3
1130 Wien

velvetmermaid
lace4men

Almut Junker, Eva Stille: Zur Geschichte der Unterwäsche 1700-1960, Historisches Museum Frankfurt 1988

Muriel Barbier, Shazia Boucher: Die Geschichte der Damenunterwäsche, Parkstone Press International 2010

Shaun Cole: Die Geschichte der Herrenunterwäsche, Parkstone Press International 2010

Lingerie-Maßatelier Barbara Boll:
Barbara Boll
E-Mail

Museumsplatz 1/E-5.6
1070 Wien

True Boxers:
Alexander Bayer und Marcus Stadler
True Boxers
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Sendereihe

Gestaltung