Oliver Tanzer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Oliver Tanzer über Revolution

"Die Gier nach den neuen Dingen". Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution. Gedanken vom stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Furche", Oliver Tanzer. Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Mensch, das ist eine alte Weisheit von Staubsaugervertretern, kauft nicht Staubsauger, sondern ein Lebensgefühl oder ein Wohlbefinden. Und zwar noch viel mehr als den Staubsauger selbst. Der Kunde kann sich damit quasi die eigene Welt-Beziehung zurecht putzen mit dem Staubsauger. Saubere Wohnung, saubere Familie, gesunde, weil staubfreie, Kinder, Glück mit einem Wort. Dass auch der neue Staubsauger eine Plackerei wird und das Staubsaugen den Rücken krümmt bis die Bandscheiben rebellieren, diese Erkenntnis kommt meist viel später.

Ähnlich ist es mit der Revolution. Auch sie muss den Menschen "verkauft" werden, und das nicht nur als Zukunftsprojekt sondern auch, nachdem sie stattgefunden hat. Denn um an die Zukunft einer neuen wunderbaren Ordnung zu glauben, muss an das Wunder ihrer Entstehung geglaubt werden. Und in diesem Sinn gleichen Revolutionäre oft Staubsaugervertretern, die den Menschen sagen müssen, warum der Staubsauger, der ihnen nun den Rücken krümmt, ein ungeheures Glück für sie war und ist.

In diesem Sinn hat die russische Revolution eine wahre Fälschungsindustrie hervorgebracht. Diese Industrie hat einen Fraktionskampf unter Revolutionären zum größten Kollektivereignis der Menschheitsgeschichte um-geschminkt. Sie hat sogar einen "neuen Menschen" erfunden, und die Zwangskollektivierung als Freiheitsprojekt. Aber weil sich die Wahrheit nicht so einfach zähmen lässt, leuchtet sie hie und da grell hervor. Wenn etwa Sergei Eisenstein mit "Panzerkreuzer Potemkin" der Revolution ein Denkmal setzt, aber dieses Denkmal just den Namen eines Fürsten trägt, Grigori Potemkin, der berüchtigt wurde, weil er angeblich die Realität fälschte, indem er schöne Dorffassaden in trostlose Landschaften setzen ließ.

Revolutionen haben gleichermaßen hinter glorreichen Fassaden oft trostlose Wirklichkeiten geschaffen. Wäre es denn so gesehen nicht eine wirkliche Revolution, einmal nicht auf Illusionen und die Verheißungen eines neuen Glücks hereinzufallen? Man würde vielleicht schnell sehen, dass "Lebensglück" viel mehr aus täglicher Arbeit mit Herz und Hirn besteht als aus Glück und Zufall? Man würde dann vielleicht erwägen, was ein weiser Mann einmal gesagt hat: "Der wirkliche Reichtum des Menschen ist der Reichtum seiner wirklichen Beziehungen." Dieser Mann war tatsächlich ein Revolutionär. Er hieß Karl Marx.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: George Gershwin/1898 - 1937
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Ira Gershwin/1896 - 1983
Gesamttitel: LET 'EM EAT CAKE / Musical in 2 Akten / Gesamtaufnahme
Titel: 5. Comes the revolution / Throttlebottom, Chor (00:02:44)
Solist/Solistin: Jack Gilford /Gesang - Alexander Throttlebottom
Chor: New York Choral Artists
Choreinstudierung: Joseph Flummerfelt
Orchester: Orchestra of St.Luke's
Leitung: Michael Tilson Thomas
Länge: 02:00 min
Label: CBS M2K 42522

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