ORF/JOSEPH SCHIMMER
Gedanken für den Tag
Brigitte Schwens-Harrant über Jonathan Swift
"Mit der Schärfe der Satire" - Zum 350. Geburtstag von Jonathan Swift regt die Germanistin, Theologin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche" Brigitte Schwens-Harrant zum Wiederlesen an. - Gestaltung: Alexandra Mantler
2. Dezember 2017, 06:56
"Reisen zu mehreren entlegenen Völkern der Welt in vier Teilen", lautete der Titel des heute als "Gullivers Reisen" so bekannten Buches, das wohl nur wenige je in voller Länge gelesen haben. Jonathan Swift, anglikanischer Priester und politischer Schriftsteller, hatte es verfasst. 1726 wurde es gedruckt.
Swift sieht sich die Welt an und den handelnden Menschen darin und auch das, was der Mensch als Fortschritt bezeichnet. Was sieht er da? "Kanonen, Feldschlangen, Musketen, Karabiner, Pistolen, Kugeln, Schießpulver, Schwerter, Bajonette, Schlachten, Belagerungen, Rückzüge, Angriffe, Unterminierungen, Gegenminen, Bombardierungen und Seeschlachten".
Im vierten und letzten Buch dieses umfangreichen Werkes erklärt Gulliver dem Herrscher des Landes, dem Herr der Pferde, die vielen Gründe, die Streit und Krieg nach sich ziehen können und was sich Menschen alles ausdenken, um diese Kriege führen zu können. Gulliver, dieser Durchschnitts-, dieser Jedermann, zählt geradezu begeistert Kriegsgeräte und deren Auswirkungen auf. Entsetzt hört ihm sein Gegenüber zu, möchte die Details gar nicht so genau wissen. "Er schien (.) überzeugt, dass wir anstelle von Vernunft nur eine Fähigkeit besäßen, die geeignet sei, unsere natürlichen Laster zu verschlimmern ."
Lange Zeit galt "Gullivers Reisen" als zu negativ. Den Menschen nicht als vernünftiges Wesen anzuerkennen, war wohl doch zuviel. Mit dem Ersten Weltkrieg jedoch nahm das Interesse an den Büchern wieder zu. Vielleicht verstand man nach den schrecklichen Erfahrungen von Schützengräben und Giftgas wieder mehr, was Swift unter vielem anderen da eigentlich erzählte. Dass sich Menschen nicht per se auf ihre Vernunft verlassen dürfen, Wissenschaft und Fortschritt nicht per se ins Bessere führt, dass der Reichtum der einen oft die Armut der anderen bedinge, all das führt "Gullivers Reisen" vor, aktuell wie eh und je und in einem heute noch beeindruckenden und aufrüttelnden Stil.
Möglicherweise sind "Gullivers Reisen" eine immer gültige Warnung. Ein Anstoß, die Vernunft, zu der wir fähig wären, für mehr Mitmenschlichkeit einzusetzen.
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