Zwischenruf
Propheten sind keine Wahrsager
Am Ende eines Jahres haben Astrologinnen und Wahrsager Hochkonjunktur.
Das alles hat mit biblischer Prophetie wenig zu tun. Die biblischen Propheten verstanden sich als Sprachrohr Gottes. Auch in der Grundsatzerklärung der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich aus dem Jahr 1996 heißt es: Der ganzen Gemeinde ist das prophetische Amt aufgetragen. Sie ist verpflichtet, die aktuelle politische, soziale und kulturelle Situation zu analysieren und aus dieser Analyse ihr konkretes Sprechen und Handeln zu entwickeln. - Darüber spricht Thomas Hennefeld, Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich. - Gestaltung: Martin Gross
31. Dezember 2017, 06:55
Am Ende eines Jahres haben Astrologinnen und Wahrsager Hochkonjunktur. Da werden Naturkatastrophen wie Überflutungen und Dürreperioden, Bürgerkriege und politische Tumulte vorausgesagt. Aber eine gute Nachricht gibt es: Weltuntergang steht nicht auf dem Programm. Neben den globalen gibt es auch die persönlichen Zukunftsszenarien.
Was man oder frau täglich im Radio hören und in der Zeitung lesen kann, wird uns in diesen Tagen noch einmal in geballter Form serviert: Wie sieht es mit den Finanzen, mit der Liebe und mit der Gesundheit 2018 aus? Werde ich ärmer oder reicher? Kommt meine Beziehung in eine Krise oder entdecke ich eine neue Liebe? Wenn ich mir so ein Tageshoroskop ansehe, habe ich den Eindruck, diese Prophezeiungen sind hauptsächlich auf börsenspekulierende Singles zugeschnitten aber sie erfreuen sich nach wie vor großer und allgemeiner Beliebtheit.
Das alles hat mit biblischer Prophetie wenig zu tun. Die biblischen Propheten unterscheiden sich von Wahrsagern und Astrologen fundamental. Sie verstanden sich als Sprachrohr Gottes. Sie wurden von Gott erwählt, um dem Volk den Willen Gottes kund zu tun. Das konnte auch bedeuten, das eine oder andere Ereignis vorauszusehen aber das Wesen der Propheten bestand darin, das Volk vor Bedrohungen zu warnen und auf das eigene ungerechte, heuchlerische oder falsche Verhalten hinzuweisen und zur Umkehr aufzurufen. Dabei haben sich alttestamentliche Propheten mit den Herrschenden, mit Königen und Heeresführen angelegt, und manche mussten für diese Aufmüpfigkeit einen hohen Preis bezahlen. Auch wenn es heute keine Propheten im alttestamentlichen Sinn gibt, das prophetische Reden und Handeln gehört zum Selbstverständnis unserer Kirche.
In der Grundsatzerklärung der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich aus dem Jahr 1996 heißt es: Der ganzen Gemeinde ist das prophetische Amt aufgetragen. Sie ist verpflichtet, die aktuelle politische, soziale und kulturelle Situation zu analysieren und aus dieser Analyse ihr konkretes Sprechen und Handeln zu entwickeln. Sie ist bereit, die Zukunft mitzugestalten und ist sich bewusst, damit Konflikte zu riskieren.
Das ist ein hoher Anspruch. Er macht aber deutlich, dass die Kirche den Auftrag hat, sich auch in Wirtschaft und Politik einzubringen. Wir brauchen keine Glaskugel und keine Sterne, um den prophetischen Auftrag wahr-und ernst zu nehmen. Wir brauchen viel mehr ein Sensorium, einen scharfen Blick und Wachsamkeit, um zu bemerken, wo und wodurch die Menschenwürde, Demokratie, Gewaltenteilung oder Minderheitsschutz bedroht sind. Demokratie ist eben nicht die Diktatur einer Mehrheit, wie manche meinen. Die alttestamentlichen Propheten haben besonderes Augenmerk auf die Schwachen in der Gesellschaft gelegt. In der Bibel wird an zahlreichen Stellen die Trias Fremde, Witwen und Waise erwähnt, weil diese Gruppen besonders gefährdet und daher besonders schutzbedürftig waren. Die Kirche hat aufzuzeigen, wenn gerade bei den Schwächsten, den Fremden, den sozial Schwachen und den Hilfsbedürftigen gespart wird, wenn die Würde des Menschen verletzt wird, wenn Gesetze beschlossen werden, die Reiche reicher und Arme ärmer machen. Horoskope zielen auf das Wohl des einzelnen ab, die prophetische Rede auf das Wohl der Gemeinschaft. Ganz in diesem Sinn wirkten auch die Reformatoren des 16. Jahrhunderts, wie etwa Martin Luther oder Ulrich Zwingli. Ihr Erbe bleibt auch nach 500 Jahren aktuell, nämlich Kirche und Gesellschaft zu reformieren, starre Strukturen aufzubrechen. Das bedeutet nicht, einfach etwas Neues zu versprechen, eine neue Zeit heraufzubeschwören, sondern sich im Glauben an den liebenden und solidarischen Gott für den Zusammenhalt der Gesellschaft einzusetzen. Die Zukunft unseres Landes und unserer Erde wird weniger durch Börsenkurse und Horoskope gewährleistet als durch eine Politik, die inklusiv, solidarisch und partizipatorisch ist.
Mögen Sie hoffnungsfroh und mit klarem Blick ins neue Jahr gehen. Ich wünsche Ihnen ein frohes, gesundes und gesegnetes Jahr 2018!
Sendereihe
Gestaltung
- Martin Gross