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Radiokolleg - Verzeihen und Versöhnen
Wie mit Verletzungen weiter leben? (1). Gestaltung: Margarethe Engelhardt-Krajanek
19. Februar 2018, 09:05
Ob im familiären Zwist oder in der Auseinandersetzung mit Vorgesetzten: abwertende Worte kränken. Werden Menschen benachteiligt, ausgeschlossen, missachtet, ignoriert, führt das zu Verletzungen. Ihr Selbstwert wird in Frage gestellt. Die Antwort darauf können Wut und Hass sein, depressiver Rückzug oder Selbstzerstörung. Massive Übergriffe stürzen Menschen in tiefe Verzweiflung.
Doch wie lassen sich diese Wunden bearbeiten? Das, was geschehen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Dieses zu akzeptieren ist ein erster Schritt aus der Lebenskrise. In kriegerischen Auseinandersetzungen erleben Menschen Grausamkeiten, sie werden Zeugen von Mord und Zerstörung. Das erschüttert ein Grundvertrauen in die menschliche Gemeinschaft. Die Antwort darauf ist oft neuerlich Gewalt.
Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, ging 1995 in Südafrika Nelson Mandela einen anderen Weg. Er gründete den Ausschuss für Wahrheit und Versöhnung. Jeder, der ein Kriegsverbrechen begangen hatte, sollte von diesem Ausschuss begnadigt werden, wenn er sein Vergehen mit lückenloser Offenheit bekannte, und zwar im Angesicht der Hinterbliebenen und Opfer. Die Opfer sollen nicht vergessen, doch sie können vergeben, war Nelson Mandelas Überzeugung. Widerfährt ihnen damit Gerechtigkeit?
In den Haag wurde vom UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien das vorläufig letzte Urteil gesprochen. Kriegsverbrecher wurden angeklagt und für schuldig gesprochen. Doch für die Menschen ist der Krieg noch allgegenwärtig. Das Zentrum für gewaltfreie Aktion versucht einen Versöhnungsprozess voranzutreiben. Die Voraussetzung dafür ist Verzeihen.
"Täter und Opfer müssen einander als menschliche Wesen erkennen," erklärt die Südafrikanische Psychologin Pumla Gobondo-Madikizela. Sie hat im Ausschuss für Wahrheit und Versöhnung mitgearbeitet. Begleitet wird dieser Prozess von großer Trauer über das, was geschehen und nicht zu ändern ist. Ein Gefühl, das uns mit der Wirklichkeit versöhnen kann.
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Literatur:
Pumla Gobodo-Madikizela, A Human Being Died That Night. A South African Story of Forgiveness. Houghton Mifflin, Boston MA 2003, (deutsch: Das Erbe der Apartheid. Trauma, Erinnerung, Versöhnung. Budrich, Opladen 2006,
Pumla Gobodo-Madikizela, mit Chris N. van der Merwe: Narrating Our Healing. Perspectives on Working Through Trauma. Cambridge Scholars Press, Newcastle 2007
Susanne Heine, mit Ömer Özsoy, Christoph Schwöbel, Abdullah Takim: "Christen und Muslime im Gespräch. Eine Verständigung über Kernthemen der Theologie." Verlagshaus, Gütersloh 2014
Rainer Gries, Eva Tamara Asboth, Christina Krakovsky, "Generation In-Between. Die Kinder der Balkankriege." Erste Stiftung 2016
Wolfgang Petritsch, Conflict and Memory: Bridging Past and Future in | South East | Europe, edited by Wolfgang Petritsch | Vedran Dzihic , Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft - Southeast European Integration Perspectives, volume, 2010
Wolfgang Petritsch, "Die europäische Chance. Neustart nach der Krise", von Margaretha Kopeining und Wolfgang Petritsch, Wien: Kremayr & Scheriau, 2010
Stephan Kaußen, Christian Nürnberger, "Nelson Mandela. Zum 100. Geburtstag einer Kultfigur." Stuttgart, Gabriel Verlag 2018
Stephan Kaußen, "20 Jahre Freiheit. Mandelas Südafrika. Vision oder Wirklichkeit?" Edition Hamooda 2014
Stephan Kaußen, "Europas Zeitenwende. Strukturelle Macht als Bumerang des Westens." Canem Verlag 2015
Bärbel Wardetzky, "Nimm's bitte nicht persönlich. Der gelassene Umgang mit Kränkungen" Kösel Verlag 2012
Martha Nussbaum, Zorn und Vergebung. Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit. Verlag WBG, Darmstadt 2017
Alexander und Margarete Mitscherlich "Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens." Piper Verlag 2007
Links:
Franz Vranitzky Chair for European Studies
Zentrum für Gewaltfreie Aktion Belgrad / Sarajewo
Institut für Friedenspädagogik Tübingen