Nahaufnahme eines Holzspieles

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über Flucht in der bildenden Kunst

"Bilder der Flucht". Anlässlich des Weltflüchtlingstags und des Ö1-Schwerpunktes NORD-SÜD beleuchtet Johanna Schwanberg, Leiterin des Dom Museum Wien, das Thema anhand gegenwärtiger wie historischer künstlerischer Arbeiten. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein schwarzhaariger Junge sitzt in einem blauen Hemd vor einer grünen, desolaten Wand. Am Boden sind Orientteppiche zu sehen. Der Bub mit den ausdrucksstarken, dunklen Augen beginnt mit dem ganzen Körper zu artikulieren. Er spricht mit den Händen, gibt Laute von sich. Mir scheint, er erzählt mir pantomimisch eine Geschichte. Aber welche?

Je länger ich zuschaue, desto stärker geht mir die körpersprachliche Erzählung unter die Haut. Ich erkenne, dass es ausgesprochen traumatische Erlebnisse sind, die der Junge mitzuteilen versucht. Es sind Gräueltaten und Fluchterfahrungen, die alle meine Vorstellungen übersteigen - noch dazu, wo das Kind etwa im Alter meines eigenen Sohnes ist.

Die ungemein eindrucksvolle Videoarbeit stammt von dem kurdischen Künstler Erkan Özgen. Sie wird ab September im Dom Museum Wien zu sehen sein, im Rahmen unserer kommenden Themenausstellung "Zeige mir deine Wunde". Das Video konfrontiert mich mit dem Schicksal des 13-jährigen Mohammed. Er lebte mit seiner Familie in der kleinen nordsyrischen Stadt Kobani. Diese leistete 2014 über 130 Tage lang Widerstand gegen die Angriffe der IS-Truppen. Mohammed ist gehörlos, daher drückt er sich in dem Kurzfilm vor allem gestikulierend aus. Das Fehlen von Worten, der ungemein starke Ausdruck bringt mich in höchstem Maße zum Nachdenken, mehr als es nüchterne Nachrichtenberichte jemals zustande gebracht haben.

Özgen ist in diesem Video etwas gelungen, was nahezu unmöglich erscheint. Nämlich Fluchterfahrungen und Kriegserlebnisse jenen zumindest ansatzweise zu vermitteln, die zum Glück aufgrund eines anderen Geburtsortes von derartigen Traumata verschont geblieben sind. Und es gelingt ihm trotz dieses zutiefst tragischen Themas Aspekte von Schönheit und Lebendigkeit mitschwingen zu lassen. Vor allem verweist er auf das Reich der Fantasie als oft einzige Möglichkeit, der Realität etwas Positives entgegenzusetzen. Daher trägt das Kunstwerk den überraschenden Titel: "Wunderland".

Service

Ö1-Schwerpunkt: Verteilung, Flucht und Migration

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Kurt Adametz
Gesamttitel: FLUCHT INS UNGEWISSE
Titel: Jerusalem
Ausführende: Kurt Adametz
Länge: 02:20 min
Label: ORF Enterprise Musikverlag ORF

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