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Gedanken für den Tag
Wolfgang Müller-Funk über religiöse Zweifler: Sören Kierkegaard
"Der göttliche Zweifel". Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk tritt in einen Dialog mit göttlichen Zweiflern wie Blaise Pascal, Sören Kierkegaard, Muguel de Unamuno oder Hans Blumenberg. - Gestaltung: Alexandra Mantler
20. Juni 2018, 06:56
"Den Sprung in den Glauben kann mir niemand abnehmen", dieser Aphorismus ist unter den nicht geringen Zitaten, die mit dem Werk des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard verbunden sind, der prominenteste. Die Metapher des Sprunges hat viele Bedeutungen. Ein Sprung bedeutet immer auch die Überwindung eines Hindernisses. Seit der Neuzeit ist ein Abgrund entstanden, der die Welt des rationalen Wissens von der des Glaubens trennt. Wir müssen Kierkegaard zufolge in den Glauben springen, weil kein gerader Weg von unserer rationalen Weltanschauung zu jenem unbekannten Anderen führt, für das die christliche Religion den Namen Gott bereit hält.
Der Sprung ist ein Abheben ins Ungewisse. Religion wird nicht als gedankliche Bequemlichkeit oder als billiger Trost disqualifiziert, sondern als etwas verstanden, das höchst riskant und damit anfällig für Scheitern ist. Ganz im Gegensatz zum Kirchenchristentum, für das der dänische Philosoph nur Verachtung übrig hatte, ist der Kierkegaard'sche Sprung ein Abenteuer der Moderne, in der der Mensch auf sich selbst gestellt bleibt.
Der Sprung hat etwas mit einem jähen Bruch zu tun, mit der plötzlichen Wendung, mit dem Risiko der Entscheidung. Er bedeutet das Ende einer naiven Unschuld. Einen Sprung in eine andere Welt haben auch Adam und Eva mit ihrer Sünde vollzogen, als sie den Befehl Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, missachteten. Auf den ersten Blick ist das kein Sprung in den Glauben, sondern einer in die Freiheit. Aber unter modernen Bedingungen ist der Sprung in den Glauben, den Kierkegaard anvisiert, ein Akt der Freiheit, der die Angst überwindet, nicht sicher auf der anderen Seite zum Landen zu kommen. Zum Springen gehört, dass das Individuum es nur selber tun kann. Niemand kann für andere springen: Wille zum Glauben.
Service
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Tori Amos
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Album: NIGHT OF HUNTERS
Titel: Seven sisters
Textanfang: Prelude in c-moll / Bearbeitung für Klavier und Klarinette
Ausführende: Tori Amos /Piano m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Andreas Ottensamer /Klarinette
Länge: 02:10 min
Label: Universal/DG 4779791