Medizin und Gesundheit

Psychisch krank - Na und?!

Nach Angaben der WHO hat jede vierte Person, die einen Arzt aufsucht, eine psychische Erkrankung. Angsterkrankungen, Depression, Alkohol- und andere Suchterkrankungen, Demenz, bipolare Störungen und Schizophrenien sind dabei die häufigsten.
Nach österreichischen Erhebungen schlittern etwa 20 Prozent der Bevölkerung jährlich in eine handfeste psychische Krise. Und natürlich nicht jedes Jahr dieselben Personen.
Es stellen sich also zwei Fragen:
Erstens: Wer hat eigentlich noch keine psychische Störung am eigenen Leib erlebt?
Zweitens: Wenn eh jeder von uns im Familien- oder Freundeskreis geliebte Menschen mit einer psychischen Erkrankung hat, warum gibt es noch so viele Vorurteile?

Hartnäckige Vorurteile

Unser Sendungsgast Irene Burdich ist Vorsitzende des Vereins HPE - Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter in Wien. "Wenig intelligent, verblödet, faul, Sozialschmarotzer, unberechenbar, gefährlich, ,wehleidig' oder willensschwach, auffällig, anders als ich und abnormal", sind nur einige der Begriffe, mit denen das Umfeld einen kranken Menschen und dessen Familie in die endgültige Verzweiflung stürzen. "Man muss es sich zwei Mal überlegen, ob man für bestimmte Förderungen ansucht, denn dann wird publik, dass man in seiner Familie ein ,Psycherl' hat", sagt Irene Burdich.

Stigmatisierung

Trotz vieler Versuche der Aufklärung in Filmen und Literatur: Menschen mit psychischen Erkrankungen werden immer noch gesellschaftlich stigmatisiert. Die Angst vor Zurückweisung und Ausgrenzung ist für sie eine zusätzliche Belastung, die sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirkt.
Das lateinische Wort Stigma bedeutet Brandmal. Und so fühlen sich Betroffene auch - gebrandmarkt. Wenn sie bei der Wohnungssuche, von Versicherungen und am Arbeitsmarkt diskriminiert werden.

Internalisierung von Klischees

Die Angst vor Diskriminierung führt auch dazu, dass Menschen Symptome psychischer Erkrankungen lange nicht wahr haben wollen und deshalb die Diagnose häufig erst spät erfolgt.
Dadurch werden psychische Störungsbilder dann wie in jedem anderen medizinischen Bereich häufig chronisch. Bei Menschen, die sich in langer psychiatrischer Behandlung befinden, ist außerdem zu beobachten, dass sie aus Resignation, aufgrund von Existenzängsten oder Verunsicherung oft zur Selbststigmatisierung neigen. Sie übernehmen Stereotype, die in der Gesellschaft über psychisch Kranke vorherrschen.

Benachteiligt in der Versorgung

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Herzinfarkt und Sie würden keine Behandlung erhalten, bzw. müssten die Kosten selbst tragen.
In unserem Gesundheitssystem unvorstellbar?
Eben leider nicht: Denn die Kosten für Psychotherapien müssen weiterhin mehrheitlich die Patientinnen und Patienten selbst tragen. Zu dieser Form der strukturellen Diskriminierung kommt noch eine soziale hinzu. Menschen mit psychischen Erkrankungen gegenüber wird eine gewisse Distanz aufrechterhalten. Auch Mobbing, Ausgrenzung, persönliche Angriffe und Entmündigung sind keine Seltenheit.
Immer noch trauen Ärzte, Arbeitgeber und das persönliche Umfeld psychisch Kranken wenig zu.

Heilung ganz normal

Fakt ist, dass psychische Erkrankungen oft von alleine ausheilen oder meist gut behandelbar sind.
Auf der Plattform ganznormal.at haben vier Prominente erzählt, welche Erkrankung sie hatten: https://www.hpe.at/medien/videos.html oder http://www.ganznormal.at/home/
Solche Initiativen sind ein wichtiger Beitrag dazu, Erkrankungen der Psyche zu entstigmatisieren und eine entspanntere, sachliche Diskussion über den Umgang damit zu beginnen.

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Mag.a Sarah Binder
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Waren Sie schon einmal von einer psychischen Erkrankung betroffen?

Haben Sie jemanden in Familie oder Freundeskreis, der betroffen ist?

Waren Sie bereits mit Vorurteilen, Ablehnung und Unverständnis konfrontiert?

Wie könnte unsere Gesellschaft zu einem entspannteren Umgang mit psychischen Erkrankungen finden?

Service

Irene Burdich
Vorsitzende von HPE - Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
Brigittenauer Lände 50-54/1/5
1200 Wien
01 526 42 02
E-Mail
Vorstand HPE

Dr. Georg Psota
Chefarzt der Psychosozialen Dienste Wien
Vizepräsident von pro mente Austria
Vorsitzender von pro mente Wien
Vizepräsident der Österr. Alzheimergesellschaft
Modecenterstraße 14/A/2.OG
A-1030 Wien
Telefon (01) 4000/53023
PSD

Rosa Reich
Name wurde auf Wunsch geändert; selbst psychisch erkrankt; ehemalige Moderatorin einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Auswirkungen von Stigmatisierung bei psychischer Erkrankung
Kampagne zur Entstigmatisierung von psychisch Kranken
Video "Red' ma drüber!"
Stigmatisierung psychisch Kranker nimmt zu
Selbsthilfegruppen
Psychologische und psychotherapeutische Hilfe

Asmus Finzen, "Stigma psychische Krankheit: Zum Umgang mit Vorurteilen, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen", Psychiatrie Verlag 2013

Georg Psota, Michael Horowitz, "Das weite Land der Seele - Über die Psyche in einer verrückten Welt", Residenz Verlag, Wien 2016

Sendereihe