Gedenkjahr vor dem Parlament, 1918

ÖNB

Radiokolleg Spezial "1918"

Anatomie einer Zeitenwende.
Gestaltung: Günter Kaindlstorfer, Tanja Malle, Sabine Nikolay, Wolfgang Ritschl und Peter Zimmermann

Vorboten. Auf dem Weg in die nächste Krise
Die Anfangsjahre der Ersten Republik prägt Mangel. Denn die wichtigsten Industriestandorte und die produktivsten landwirtschaftlichen Betriebe befinden sich nunmehr außerhalb von Österreich. Die Folgen: Geringere Staatseinnahmen, hohe Arbeitslosigkeit, das Fehlen von Nahrungsmitteln und Kohle, Wohnungsnot. Verelendung und bitterste Armut prägten den Alltag der Menschen. Dazu kommt die galoppierende Geldentwertung. 1922 erreicht die Inflation sagenhafte 1.700 Prozent. Ein rigider Sparkurs, eine Währungsreform und ein Notkredit durch den Völkerbund stabilisieren die Finanzlage Österreichs ab 1923, beschreibt Günter Kaindlstorfer.

Und Tanja Malle ergänzt, wie Österreich damit klarzukommen versucht, dass sich sein Wirtschaftssystem völlig ändert. Denn die Doppelmonarchie bildete eine Freihandelszone ohne Zollgrenzen, mit einer Währung und einer einheitliche Rechtsgrundlage. Das war die Basis für den Handel mit Waren und Dienstleistungen. 1918 endet diese Union. Österreich ist zunächst der einzige Nachfolgestaat der Monarchie, der seine Grenzen offen hält, die übrigen Länder setzten auf Protektionismus.

Viele leben in der Ersten Republik im Elend. Wenige kommen zu sagenhaftem Reichtum. Nämlich durch den Spekulationsboom an der Wiener Börse im Jahr 1919. Zwei Männern mit großem Glück spürt Peter Zimmermann in seinem Beitrag nach. Camillo Castiglioni und Sigmund Bosel werden durch Spekulationen reich und zelebrieren den Luxus. Den ökonomisch und politisch äußerst prekären Verhältnissen zum Trotz. Denn obwohl die finanzielle Situation Österreichs etwa stabilisiert werden konnte, steigt die Arbeitslosigkeit weiter - ein Vorbote der späteren Weltwirtschaftskrise.

Damit ist der Weg in die Diktatur - oder besser gesagt: in zwei Diktaturen - geebnet.
Sabine Nikolay geht in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Zukunftsperspektiven und gesellschaftlichen Utopien die neuen europäischen Gesellschaften angesichts von politischen und wirtschaftlichen Krisen entwickeln. Von der "Zurück zur Natur"-Bewegungen, über planwirtschaftliche Vorstellungen, bis zum Kommunismus und Faschismus.

Eine der frühen warnenden Stimmen war die österreichische Autorin und Aktivistin Irene Harand. Sie tritt sehr früh entschieden gegen Antisemitismus und Faschismus auf. Ihr hat der Politologe Anton Pelinka sein Buch: "Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918-1938" gewidmet. Im Studiogespräch mit Wolfgang Ritschl, analysiert er, welche Lehren sich aus dem Aufbau der Ersten Republik und aus den Fehlen ihrer Architekten ziehen lassen.

Moderation: Wolfgang Ritschl. Recherche der zeithistorischen Originaltöne: Michael Liensberger. Redaktion: Tanja Malle und Ina Zwerger.

Service

Die Hannes Androsch (Hrsg.): 1848-1918-2018 - 8 Wendepunkte der Weltgeschichte. Brandstätter Verlag

Vicki Baum: Menschen im Hotel, Roman, Kiepenheuer & Witsch

Hugo Bettauer: Der Herr auf der Galgenleiter, Roman, Milena Verlag

Dieter A. Binder, Ernst Bruckmüller: Essay über Österreich. Grundfragen von Identität und Geschichte 1918 - 2000, Böhlau Verlag

Ernst Bruckmüller: Symbole österreichischer Identität zwischen Kakanien und Europa, Picus Verlag

Marion Dotter und Stefan Wedrac: Der hohe Preis des Friedens: Geschichte der Teilung Tirols. 1918 bis 1922. Tyrolia Verlag

Heinz Fischer: 100 Jahre Republik: Meilensteine und Wendepunkte in Österreich 1918-2018. Czernin Verlag

Egon Friedell, Selbstanzeige, Löcker Verlag

Robert Gerwarth: Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs. Siedler Verlag

Christian Glanz, Hanns Eisler. Werk und Leben, erschienen in der Reihe "Neue Musikportraits", Edition Steinbauer

Anton Holzer: Die erkämpfte Republik: 1918/19 in Fotografien. Residenz Verlag

Pieter M. Judson: Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740 -1918. C.H. Beck

Christian Koller, Matthias Marschik (Hg.), Die ungarische Räterepublik 1919, Promedia

Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner: Das Werden der Ersten Republik: Der Rest ist Österreich. Gerold Verlag

Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Suhrkamp

Andreas Latzko: Menschen im Krieg, Novellen, Milena Verlag

Hannes Leidinger und Verena Moritz: Umstritten, verspielt, gefeiert. Die Republik Österreich 1918/2018. Haymon Verlag

Ernst Lothar, Der Engel mit der Posaune, Zsolnay

Sarah Mohi von Känel: Kriegsheimkehrer. Politik und Poetik 1914 - 1939, Wallstein Verlag

Verena Pawlowsky und Harald Wendelin: Die Wunden des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914-1938. Böhlau Verlag

Anton Pelinka: Die gescheiterte Republik: Kultur und Politik in Österreich 1918-1938. Böhlau Verlag

Alfred Pfoser und Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Grünungsjahre der österreichischen Republik. 1918 - 1922. Residenz Verlag

Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 - 2005. Zsolnay

Manfried Rauchensteiner: Unter Beobachtung. Österreich seit 1918. Böhlau Verlag

Walter Rauscher: Die verzweifelte Republik. Österreich 1918-1922. Kremayr und Scheriau

Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende, Roman, Kiepenheuer & Witsch Verlag
Joseph Roth: Radetzkymarsch, dtv

Reinhard Schlüter: Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni, Zsolnay

Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Böhlau Verlag

Emmerich Talos unter Mitarbeit von Florian Wenninger: Das austrofaschistische Österreich 1933-1938, Lit Verlag

Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen, Kiepenheuer & Witsch

Heinrich August Winkler: Weimar 1918 - 1933: Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, C.H. Beck

Stefan Zweig, Die Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers, Fischer TB

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